Oasis überraschen mit überragendem Album: Großmaul reloaded
Große Überraschung: Nach langen Jahren des Siechtums haben Oasis mit „Dig Out Your Soul“ wieder eine gute Platte gemacht.
Es schien im Vorfeld der Veröffentlichung des neuen Oasis-Albums „Dig Out Your Soul“, als sei Noel Gallagher, der Freischwebende, nun endgültig von der Schwerkraft erfasst worden. Als sei nun eingetreten, was sich andeutet, seit die große Zeit der Band vorüber ist: Gallagher ist längst mehr Familienvater als Fluchmaschine, er ist zu Boden gezogen worden, wo er nun geerdet und eingenordet in das Koordinatensystems seiner Kleinfamilie lebt und seinen Kindern den Po wischt.
Man muss dazu wissen, dass Noel Gallagher und sein Bruder Liam, seit etwa 15 Jahren der Kern von Oasis, lange Zeit schwer an Hybris erkrankt waren. Sie türmten, nachdem sie die besten Beatles-Songs seit den Beatles geschrieben hatten, 60 Gitarrenschichten übereinander und nannten das Rock n Roll. Sie sprachen über andere Musiker von einer Warte aus, die ihre Position über den Dingen verdeutlichen sollte. Zum Beispiel: Radiohead? „Die sollen endlich mal wieder eine Scheißhymne schreiben.“ Robbie Williams? „Der fette Tänzer von Take That.“ Victoria Beckham? „Sie kann noch nicht einmal Kaugummi kauen und dabei gerade gehen, wie soll sie ein Buch schreiben?“ Dort, über den Dingen, wo man Champagner aus Cowboystiefeln säuft und die Nase zum Koksen und als Sonnenbrillenstütze verwendet, liegt ihr Ruhm begründet und wird gespeist von großen Songs und großen Klappen.
Und nun, 2008, erzählt Noel Gallagher also von seinen süßen Kindern und davon, wie gerne er sich die Eier schaukelt, weil das wichtiger sei als poplige Songs. Beispiel? „Es ist albern, wie viel Aufmerksamkeit und Bedeutung die Leute einem Song beimessen können.“ Ach je. Stand er nicht dafür, dass Musik alles ist – also im Sinn von: alles? „Wenn du nicht größer als die Beatles werden willst, ist es nur ein Hobby“ und so weiter? War das nicht der Witz? Kinderpo-Wischen können wir schließlich selber.
Man musste sich also Sorgen um die Fortexistenz der Ausschweifung machen, zumal das neue Album schnell die Frage aufwirft: Warum um alles in der Welt klaut Noel jetzt ausgerechnet bei Bruce Springsteen?
Und doch: „Dig Out Your Soul“ wächst und wächst und erinnert bereits nach mehrfachem Hören kaum noch an Springsteen, sondern fast an Oasis aus den besten Tagen. Die Band hat ihre Riffs wieder eingespielt, ihre nahe liegenden Breaks, ihre auf übersteuerten Gitarren ruhenden Steigerungen, und in „Soldier On“ zieht Liam Gallagher die Töne am Ende wieder von London bis nach Manchester. Es gibt eine verunglückte Ballade, Gitarrenschichtsalat und Anleihen, etwa bei Tears for Fears, den Doors, dem Black Rebel Motorcycle Club oder den Gorillaz. Die Ideen anderer Leute sind den Gallaghers, anders als Robbie Williams mal behauptet hat, nach wie vor nicht ausgegangen.
Strukturell ist insofern alles beim Alten geblieben, auch wenn die Gallagher-Brüder zwischendurch auferstehen aus dem Grab der nostalgischen Verzückung, in dem sie halb lagen, und – vielleicht um Reife zu erlangen, wahrscheinlicher aber, weil einfach eine Orgel herumstand – in eine psychedelische Phase eintreten. Sogar die Songzahl – elf – tauchte schon mehrfach in der Bandgeschichte auf.
Ob die Band auf diese alte Liebhaber-Tour jemanden vom Stapel mit den Coldplay-Alben weglocken wird, wird sich noch klären müssen. Die alten Fans aber dürften Oasis für „Dig Out Your Soul“ hochleben lassen; die Band hat nämlich auch alte Qualitäten wieder belebt: Schroffheit, Ausschweifung und Hymnik. Auf Ri-Ra-Rock zu Beginn folgt die erste ordentliche Hymne, die Oasis seit langem geschrieben haben: Die Beatles klingen wieder durch bei „The Shock of the Lightning“, was an der Komposition liegt, nicht am Text, auch wenn Liam Gallagher darin der Welt mitteilt, dass Love ausgerechnet „a magical mystery“ ist. Ein Beatles-Zitat, typisch Oasis. Vor allem aber, bei aller Klasse, auch wieder derselbe als Lyrik getarnte Blödsinn wie damals, als die Band musikalisch ausgefuchst und brillant Texte über Gin Tonic und das Vögeln untermalte. Bullshit, Zitate von Geniestreichen und Genie. Oasis sind wieder da. KLAUS RAAB
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