: OH! DIE TCHIBO-REISE
■ Hochkonzentriert überlegt sich die Reise-Branche neue Absatzwege
Oh - Sie hier und nicht in New York?“ Die coole Frage auf dem Aufkleber, den Tchibo in den letzten Monaten unters Jungvolk gebracht hat, könnte bald von der Wirklichkeit eingeholt werden. Wer in Nordrhein-Westfalen wohnt, kann demnächst in einer Tchibo-Filiale auch Urlaubsreisen buchen. Denn Mitte Dezember gründen Tchibo und die Handelskette Allkauf - die „Tchibo Oho Reisen“. Ab 1989 können PauschalistInnen an Rhein und Ruhr nicht nur Kaffee und Uhren, sondern auch „besonders preisgünstige und qualitativ anspruchsvolle Reisen“ in den Tchibo-Läden kaufen, wirbt Allkauf-Manager Frank Wolf.
Nach Kräften müht sich der Mönchengladbacher Handelskonzern darum, in der Touristik-Branche zu expandieren. Die Tochter „Allkauf Reisen GmbH“ -, besser unter dem Marken-Namen Tjaereborg bekannt, ist bereits in 800 Reisebüros, den 44 Allkauf-Warenhäusern und den 71 Foto-Filialen des Konzerns präsent. Hinzu kommen nun die Oho-Reisen, die in der ersten Phase 20.000 Buchungen bringen sollen. Und neben den Reisebüros, den Allkauf-Dependancen und den Tchibo-Filialen soll noch ein vierter Vertriebsweg eröffnet werden: über die Niederlassungen der Asko-Gruppe (Massa, Divi, Real-kauf, Esbella, Adler). Kampf um Marktanteile
Der Kampf zwischen den Großen in der wachstumsträchtigen Tourismus-Branche wird dabei immer härter. 12,5 Milliarden Mark Umsatz wurde 1986/87 geschätzt; Zuwachsrate: mehr als zehn Prozent im Jahr. Schon jetzt werden mehr als die Hälfte der rund zwölf Millionen Pauschalreisen von nur vier großen Anbietern verkauft. Branchenriese ist die Tourismus Union International (TUI), eine gemeinsame Gründung von Großveranstaltern wie Hapag-Lloyd Flugreisen, dem Amtlichen Bayrischen Reisebüro und dem Deutschen Reisebüro - auch der Springer-Konzern ist mit einer Reisetochter dabei. TUI bringt ein knappes Viertel der PauschalistInnen auf den Weg und setzte damit 1986/87 rund drei Milliarden Mark um. TUI verfügt über ein ganzes Bündel von Marken: Scharnow, Touropa, Transeuropa, Hummel, Dr. Tigges, twen-tours und den Robinson-Club.
Nur halb so groß ist die Karstadt-Tochter NUR, die unter anderem auch die Neckermann-Reisen anbietet. Branchendritter oder -vierter (die Tabellen weichen voneinander ab) ist die International Tourist Service (ITS), über die etwa Kaufhof und Hertie, aber auch der ADAC ihre Reisen abwickeln. Vierter im Bunde ist die Allkauf-Familie Viehof mit der LTU, an der sie beteiligt ist. Mit LTU zusammen betreibt Allkauf die Tjaereborg-Reisetochter. Den Rest des Marktes teilt sich eine Fülle von kleinen Veranstaltern, die, um sich noch halten zu können, immer mehr auf ausgefallene Angebote angewiesen sind. Geteilter Markt
Denen soll es, so behauptet zumindest die TUI, an den Kragen gehen, wenn das Bundeskartellamt Recht bekommt. TUI und NUR streiten sich mit der Behörde vor Gericht um ihre Präsenz in den insgesamt fünf- bis sechstausend bundesdeutschen Reisebüros. Anlaß für die Auseinandersetzung ist die „Vertriebsbindung“: TUI hat mit 2.600 und NUR mit 1.600 Reisebüros Verträge abgeschlossen, die die Reisebüros verpflichten, jeweils nicht die Angebote der Konkurrenz zu verkaufen. Das Kartellamt hält diese Bindung für wettbewerbswidrig, denn so hätten die Kunden keine hinreichenden Möglichkeiten zum Preisvergleich. Durch die Vielzahl von Marken der einzelnen Großveranstalter würde außerdem der Eindruck echten Wettbewerbs herrschen.
TUI und NUR halten dagegen. Scheinbar sei das Verbot der Vertriebsbindung wettbewerbsfreundlich, doch heraus komme das genaue Gegenteil. Denn wenn die Reisebüros unter Tonnen von Prospekten der bisherigen Konkurrenz zugeschüttet werden würden, blieben die kleinen Veranstalter notwendig auf der Strecke; den Reisebüros wäre dann vor allem daran gelegen, die Veranstalter zu bedienen, die ein großes, lukratives und sicheres Angebot haben. Außerdem treffe der Konzentrationsprozeß auch die kleinen Reisebüros selbst: Die TUI-, NUR- oder ITS-Buchungscomputer sind teuer und brauchen Platz, den viele kleine Reisebüros nicht haben.
Den Kartellamts-Sprecher Hubertus Schön ficht die Kritik nicht an. „Für den Reisenden wird sich die Situation verbessern“, urteilt er. Die KundInnen sollen eine möglichst breite Palette angeboten bekommen; zudem würden die Reisebüros ja nicht gezwungen, ihre Regale auch mit den Prospekten des bisherigen Konkurrenz zu füllen.
Für einige, räumt Schön ein, werde sich die Situation allerdings verschlechtern. Der Ausweg heiße dann Spezialisierung: „Ein kleines, pfiffiges Reisebüro wird auch nicht gezwungen, alle Veranstalter zu nehmen.“
Auf den Pfiff kommt's also an. Das pfiffigste Angebot haben sich allerdings die Allkauf- und Tchibo-Leute einfallen lassen. Das Reise-Angebot gibt's nämlich auf Video-Cassette, für 9,95 Mark. Nach der Buchung kann die Cassette dann gelöscht und im Urlaub gleich wieder bespielt werden.
Dietmar Bartz
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