: OECD: Die Talsohle kommt erst noch
■ Düstere Aussichten für Deutschland: 4,2 Millionen Arbeitslose 1994 / Empfehlung: Niedriglöhne im Osten sollen Beschäftigung sichern
Bonn (dpa/AP) – Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit (OECD) der führenden Industrieländer rechnet nur mit einer langsamen Erholung der deutschen Wirtschaft. „Die Fehler der Vergangenheit können nicht mit einem Schlag korrigiert werden“, sagte der Leiter des Bonner OECD-Büros, Dieter Menke, bei der Vorstellung des OECD- Deutschland-Berichts. Vor allem bei der Arbeitslosigkeit sei mit einem weiteren kräftigen Anstieg auf 4,2 Millionen im Jahresdurchschnitt 1994 zu rechnen.
Die höhere Arbeitslosigkeit werde vor allem Westdeutschland treffen, wo die Drei-Millionen- Grenze 1994 überschritten, der Höhepunkt damit aber noch nicht erreicht werde. In den neuen Bundesländern wird dagegen keine weitere Zunahme über 1,3 Millionen registrierte Arbeitslose im Durchschnitt dieses Jahres erwartet, sondern sogar ein leichter Rückgang auf 1,23 Millionen 1994. Bei den Verbraucherpreisen rechnet die OECD 1994 mit einem Rückgang der Inflationsrate auf 3,1 Prozent, wobei für Westdeutschland 2,6 oder 2,7 Prozent und für Ostdeutschland 5,5 Prozent vorausgesagt werden.
Vorsichtige Kritik äußern die OECD-Prüfer, die wie im Vorjahr wieder aus den USA und Großbritannien kamen und ausführliche Vorgespräche mit deutschen Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften und Regierungsstellen führten, am ab Anfang 1995 wieder vorgesehenen Solidaritätszuschlag. Sie sind der Ansicht, daß „eine weitere Anhebung der Mehrwertsteuersätze weniger Nachteile mit sich bringen würde als eine Erhöhung der Einkommensteuern“.
Hart geht die OECD mit der bislang in den neuen Bundesländern betriebenen Tarifpolitik ins Gericht. Um die Lohnerhöhungen in Ostdeutschland mit einer Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit und damit auch der Attraktivität Ostdeutschlands als Investitionsstandort zu vereinbaren, bedürfe es eindeutig einer Änderung des individuellen Lohnverhaltens und einer Reform des Lohnfindungsprozesses.
„Ein hohes Maß an Differenzierung des Lohnniveaus und der Beschäftigungsbedingungen zwischen den einzelnen Branchen und Unternehmen“ muß hingenommen werden. Höchste Priorität, so der OECD-Bericht, müsse in ganz Deutschland nicht den Reallöhnen, sondern der Beschäftigung gelten.
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