OBDACH: Senat flieht vor der Wohnungsfrage
Immer mehr Asylsuchende kommen nach Berlin und landen in immer größeren Sammelunterkünften. Selbst die Erstaufnahmestelle Motardstraße könnte nun ausgebaut werden.
Die Zahl der Flüchtlinge nimmt zu, aber bezahlbare Wohnungen sind knapp. Die Folge: Fast die Hälfte der rund 12.000 Flüchtlinge lebt inzwischen in Sammelunterkünften – entgegen den Senatszielen. Vor zwei Jahren waren es nur 15 Prozent, der Rest wohnte privat. Die Opposition wirft dem Senat vor, diesem Trend tatenlos zuzuschauen.
Allein im März beantragten 1.295 Flüchtlinge in Berlin Asyl – im gleichen Monat vor einem Jahr waren es 394. Viele dürften sich auf eine lange Wartezeit in Gemeinschaft einstellen: 5.480 der derzeit rund 12.000 Flüchtlinge leben in Sammelunterkünften. „Wir bemühen uns sehr um Wohnungen und sind ständig mit den Wohnbauunternehmen in Kontakt“, sagte Franz Allert, Präsident des Landesamts für Gesundheit und Soziales (Lageso), am Montag im Sozialausschuss des Abgeordnetenhauses.
Pirat Fabio Reinhardt hielt dem einen Kooperationsvertrag entgegen, den der rot-rote Senat 2011 mit den landeseigenen Wohnungsgesellschaften ausgehandelt hatte. Darin verpflichteten sich die Gesellschaften, pro Jahr 275 Wohnungen für Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen. Eingelöst wurde das nicht: 2011 waren es 178 Wohnungen, 2012 nur 119. „Ein Skandal“, empörte sich Reinhardt. Gegen die Wohnungsgesellschaften müssten Sanktionen verhängt werden.
Reinhardt forderte auch, die Berlinovo Immobilien Gesellschaft zur Verantwortung zu ziehen. Das landeseigene Immobilienunternehmen ging aus der Berliner Immobilien-Holding (BIH) hervor, einem Relikt des Bankenskandals. Dort waren die verlustbringenden Immobilien aus dem Imperium der Bankgesellschaft geparkt worden. In einem Oppositionsantrag wurde am Montag gefordert, in den teilweise leer stehenden Apartmentanlagen der Berlinovo Flüchtlingen dauerhaft Unterkunft zu geben. Die Piraten verwiesen auf Presseberichte vom April 2011, wonach die Arwobau, eine Tochtergesellschaft der Berlinovo, der Stadt 1.179 Wohneinheiten für Flüchtlinge angeboten habe. Nach der Wahl im September 2011 sei das Vorhaben aber vom neuen Senat ad acta gelegt worden. Laut Staatssekretär Michael Büge (CDU) ist das Angebot nicht mehr aktuell. Im Januar 2013 bot die Berlinovo lediglich noch 38 Apartments für maximal 60 Personen an. Der Grund: Der Leerstand bei dem Unternehmen betrage nur noch 1 bis 2,5 Prozent. „Das ist faktisch Vollvermietung“, so Büge.
Was die landeseigenen Wohnungsgesellschaften betreffe, sagte der Staatssekretär, könne man diese zu nichts zwingen. Der Kooperationsvertrag sei nur eine freiwillige Selbstverpflichtung. Laut Lageso-Präsident Allert wurden in diesem Jahr bisher 137 Flüchtlinge in Wohnungen untergebracht.
Daneben aber existieren inzwischen 14 Sammelunterkünfte in der Stadt, fast alle beherbergen mehr als 140 Asylbewerber, die größte – das frühere Notaufnahmelager Marienfelde – sogar 617. Dazu kommen acht temporäre Notunterkünfte mit 60 bis 200 Bewohnern. 2010 gab es insgesamt nur sechs Heime.
Großunterkünfte gesucht
Fieberhaft verhandelt das Lageso mit den Bezirken um neue Großunterkünfte – bisher ohne Erfolg. Nur einige Notquartiere konnten verlängert werden, in Steglitz-Zehlendorf fand man eine Unterkunft mit 57 Plätzen.
Ins Spiel kommt da wieder ein alter Standort: die Erstaufnahmestelle Motardstraße in Spandau, derzeit mit 500 Flüchtlingen belegt. Die baufällige Containersiedlung in einem Industriegebiet sollte eigentlich zum Jahresende schließen. Laut Lageso gibt es nun Verhandlungen über einen Neubau. Einrichtungsleiter Manfred Nowak von der AWO bestätigt die „Gesprächsbereitschaft“. Die Verhandlungen stünden aber ganz am Anfang.
Der Flüchtlingsrat kritisiert die Pläne. „Statt immer neuer Großlager brauchen wir kleine Unterkünfte in Wohngebieten und Wohnungen“, so Sprecher Georg Classen. Der Senat aber lege in der Wohnungspolitik für Flüchtlinge eine „beispiellose Konzeptlosigkeit“ hin.
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