: „Nur weg aus dem Haus“
■ Zwei Kinder, die vom Nachbarn mißbraucht wurden; der Mann ist immer noch in der Nähe. Und die Mutter ringt mit dem Sozialamt um eine neue Wohnung.
„Wir müssen auf alle Fälle von hier weg. Die Mädchen haben Angst vor dem Haus und der Mann ist auch noch in der Nähe.“ Frau K. will endlich raus aus ihrer Wohnung. Und ihre Verzweiflung hat einen Grund: Ihre beiden kleinen Töchter, 4 und 6 Jahre alt, sind von einem ihrer Nachbarn über mehrere Monate mißbraucht worden, erzählt sie. Der Mann wurde sofort angezeigt, mittlerweile habe er auch gestanden. Das Verfahren läuft noch. Er erhielt zwar ein sofortiges Verbot, den Wohnblock zu betreten, lebt jedoch seitdem bei seinen Eltern in der unmittelbaren Umgebung. Frau K.: „Er ist oft im Park, wo die Kinder spielen.“ Der Mann, das Haus, ein Horror für die Familie. Wegziehen scheint die einzige Alternative.
Aber da beginnt das Problem, und das heißt Sozialamt. Die alleinerziehende Mutter mit vier Kindern ist nämlich auf Sozialhilfe angewiesen, und als sie in ihrer Not zum Sozialamt ging, mußte sie eine böse Überraschung erleben: Zwar wurde der Frau der Umzug an sich genehmigt, doch mehr als 900 Mark wollte das Amt nicht für die Warmmiete einer neuen Wohnung ausgeben, bedeutete der zuständige Sachbearbeiter. Die Familie hat Anspruch auf eine Fünfzimmerwohnung, oder eine bis zu 90 Quadratmetern, und für das Geld ist die in Bremen kaum zu haben. Schon gar nicht, wenn die Zeit drängt. Zumal aufgrund einer Auflage des Jugendamtes die Familie in keine sogenannten Ballungsräume, wie z.B. Tenever oder Huchting ziehen darf. Nur: Genau da gibt es die meisten billigen Sozialwohnungen.
Doch selbst wenn die Familie das große Los ziehen und eine Billigwohnung bekommen würde – was das Sozialamt bezahlen will reicht vorne und hinten nicht. Eine Nachfrage bei den Wohnungsbaugesellschaften ergab, daß für diesen Preis keine Wohnung zu haben sei. Der Bei der GEWOBA liegt die Miete pro Quadratmeter zwischen 6,50 und 14 Mark, bei der Bremischen zwischen 10 und 12 Mark im geförderten Bereich – kalt. Abgesehen davon, daß gerade bei den größeren Wohnungen mit extrem langen Wartezeiten zu rechnen ist.
Doch all diese Schwierigkeiten haben das Sozialamt nicht sonderlich interessiert. „Die haben gesagt, Kindermißbrauch passiert häufig und damit müssen die Mädchen leben“, Frau K. fühlte sich vom Sozialamt regelrecht abgeblockt. Mit Hilfe einer auf Sozialrecht spezialisierten Anwältin stellte Frau K. einen Antrag auf einstweilige Verfügung. Doch der wurde vom Verwaltungsgericht abgelehnt. Sie reichte Wiederspruch ein. „Die Situation der Mädchen ist gar nicht richtig beachtet worden.“ Überall fand die Frau Verständnis für ihre Lage, beim Jugendamt, bei der Solidarischen Hilfe, bei einem Frauenzentrum – bloß nicht bei den Stellen, die auch über die Hilfe zu entscheiden hatten. „Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, ich will nur weg aus dem Haus.“
Inzwischen hat allerdings auch das Sozialamt reagiert. Eine Referentin beschäftigt sich mit dem Fall und hat innerhalb kurzer Zeit schon festgestellt, daß die pauschale Ausstellung über eine Warmmietenübernahme nicht korrekt sei. Eigentlich müßten 900 Mark Kaltmiete übernommen werden.
Wie es zu dieser Odyssee für Frau K. habe kommen können, das konnte im zuständigen Sozialamt niemand erklären. Eine Mitarbeiterin vermutet ein Versehen: „Früher orientierten sich die Sätze an der Warmmiete, das ist jedoch schon seit ungefähr zwei Jahren umgestellt.“ Letztendlich, nach zweimonatigem Irren durch die Bürokratie, bekam die Familie nun von Seiten des Sozialamtes die Anerkennung als Einzel- und Eilfall und eine Mietkostenübernahme bis zu 900 Mark kalt zugesprochen. Der zuständige Sachbearbeiter hat zudem einen gewissen Ermessungsfreiraum und gibt sich recht optimistisch: „Ich hoffe, daß Frau K. bald eine Wohnung findet.“
Das Gerichtsurteil steht noch aus. Noch ist keine Wohnung gefunden, aber die Familie hat jetzt zum ersten Mal eine reele Chance für ein neues Dach überm Kopf, unter dem die Mädchen keine Angst mehr haben müssen. Die hätte schon vor zwei Monaten bestehen können.
sis
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