Nur und immer noch Rock'n'Roll

■ Ein Portrait der Bremer Band The Moorat Fingers

Lloyd Moorat war ein nihilistischer Poet, der sich vor 100 Jahren im Kevin Kloyd Hospital die Finger der rechten Hand abgeschnitten hat, um sein eigenes Satanswerk zu unterbinden. Im späten 19. Jahrhundert gab es eben noch nicht ganz so viele Ausgleichsportarten für Psychopathen wie heute, wo sich ewig Unzufriedene ein paar andere Schreihälse suchen, eine Rock'n'Roll-Band gründen und der Welt die Faust entgegenrecken.

Gloid Smear, Sänger der Moorat Fingers, redet sich in Rage, gestikuliert mit seinem Satans-Ring und schimpft auf die Musik in Kneipen. Seine Mitstreiter hören zu und nicken beiläufig. Alle haben bereits einige Jahre Erfahrung in anderen Bands gesammelt, aber diese sind Vergangenheit, und die Moorat Fingers wollen darüber nicht mehr reden. Abenteuerliches Englisch wird geredet. Drei von vier Band-Mitgliedern stammen aus dem englischsprachigen Ausland und sind in Bremen hängengeblieben. „Hier haben die Kneipen 24 Stunden offen“, bekennt sich Drummer Captain Hospital, der Oakland gegen die Hansestadt getauscht hat. „Aber wenn wir in Brasilien erstmal groß rauskommen, werden wir vielleicht die Stadt wechseln.“

Jens Tuch, Manager und Labelchef von „Into the Vortex“-Records, hat sein neues Pferd im Stall vorsichtshalber zum Interview begleitet und versucht Gloid Einhalt zu gebieten, als dieser erneut auf die Theke klettert, um den „Backwards Ass-Wipe“vorzuführen. Gloid macht sich gern zum Affen. „Obwohl die Frauen alle Abstand von mir halten, aber so ist das dann wohl. Aber es gibt Leute, die sich den Hintern von vorne abwischen. Davon handelt der Text. Die dummen Leute fühlen sich von sowas angegriffen, weil ihr Humor zu eindimensional ist. Sie denken, daß wir dumm und gewalttätig sind.“

Die Moorat Fingers haben sich vor ungefähr einem Jahr in einem Bremer Proberaum gegründet und dort zwischen riesigen Bierlachen ihr erstes und bestes Konzert gespielt. Danach gab es einige überraschende Umbesetzungen im Line-Up, und der improvisierte Jazz Rock verwandelte sich langsam, aber sicher in ein brodelndes Gebräu, welches sämtliche Spielarten des Rock'n'Rolls aufzusaugen drohte, bis dann irgendwann wieder Punkrock daraus wurde.

Seitdem sucht das Quartett die Nähe jener Schar von Rabauken und Gralshütern des heiligen primitiven Rock'n'Rolls von analogen Gnaden, die auch bei der Aufnahmetechnik kein Rauschen und Knacken missen wollen und jedes „Rock'n'Roll ist tot oder zumindest albern“krisensicher ignorieren. Das alteingesessene Hamburger Label „Crypt Records“verfolgt seit Jahren die Verbindung von Tradition und Moderne, die sich in Form von rotznasigen Schepperbands mit Trash als Lebensmaxime seit den 50ern entwickelt hat.

Stetige Besetzungswechsel hätten beinahe zur Gründung einer Moorat Fingers & Roadies-Gewerkschaft geführt. Der jüngste Ausstieg von Nick „the arty dictator“war kurz und schmerzlos gewesen. Problematischer war der Rausschmiß von Lowlander-Drummer Guido Bolero, der sich zunächst nur durch Kippen-Aufsammeln im Proberaum unbeliebt machte und später durch Timboy ersetzt wurde.

„Wir haben ungeführ das gleiche Glück wie ,Spinal Tap'“, sagt Gloid. „Zuerst passierte die Sache mit Peter in Hell, Michigan, danach Guido und Nick, und jetzt habe ich so ein komisches Gefühl mit Timboy.“Der Engländer hat den makellosesten Ruf als Gitarrist, den sich ein alter Punker wünschen kann, und sein zwischenzeitiges Drummer-Dasein war ein Trauerspiel für alle Beteiligten gewesen. „Er wollte unbedingt bei uns mitspielen, aber er konnte absolut kein Schlagzeug spielen“, erinnert sich der Bassist und Quoten-Waliser Spazz Rancid.

„Abgesehen davon hatten wir immer das Problem, daß Könige im Zerstören von Equipment wie die ,Lowlander' oder die ,Sods' unsere Instrumente in den Arsch geritten haben. Tim liebt seinen Verstärker mehr als jede Frau und trotz zehnjähriger Tour-Erfahrung hatte er nicht mal einen Kratzer dran. Die ,Sods' haben ungefähr drei Minuten gebraucht, um das Ding komplett durchzuknallen und den Rest der Anlage in faustgroße Teile zu zerlegen. Danach war diese Geschichte, als ich meinen Zeh bei einem bizarren Flipper-Unfall verloren habe. Beinahe hätten wir die nächste Show absagen müssen.“

Am Montag abend spielen die „Moorat Fingers“gemeinsam mit „die Lowlander“im Tower bei einem Band-Contest. „Wir treten gegen die Hamburger Band The Outtasites und Dr.X aus Solingen an. Es ist ein Tag Team-Kampf wie beim Catchen. Das Problem ist, daß wir wieder mit einer Band zusammenspielen, die wesentlich schlechter ist als wir. Außerdem haben Dr. X verrückte Helme und lustigere Namen als wir, und die Outtasites treten extra mit einer Sängerin an. Es wird schwer, das Publikum auf unsere Seite zu kriegen, aber wenn wir wegen der Lowlander verlieren sollten, werden wir sie mit ihren verdammten Schottenröcken kopfüber an die Wand nageln bis ihnen die dummen Witze vergehen. We're gonna kick the shit out of die Lowlander!“Gloid Smear teilt gleich weiter an seine Mitmusiker aus, die vor lauter Aktivitäten nicht dazu kommen, die erste Platte „Rise of the Retards“im Studio zu beenden. Auch der Manager spricht ein paar mahnende Worte und sieht das Weihnachtsgeschäft die Weser runtergehen. „Dafür werden wir Montag spezielle Weihnachts-Versionen unserer Songs und ,Jesus entering from the rear' von den ,Feederz' spielen. Vielleicht haben wir dann trotz dieser Lowlander-Clowns eine Chance. Aber ich hab gehört, daß die vor nichts zurückschrecken und sich als Nikoläuse verkleiden.“ StErn

Moorat Fingers-Kontakt: Into the Vortex Rec., Fehrfeld 26, 28203 Bremen; live: 22. Dezember im Tower, „Clash of the Titans“-Festival (mit die Lowlander, Dr.X und Outtasites), 30. Januar im Alhambra, Oldenburg (mit Oddballs & Gee-Strings), 31. Januar im Liliput, Seilerstr., Wiedereröffnungsparty