: Nur noch zweihundertundeinen Tag DDR
■ Spitzen der CDU/CSU-Fraktion drücken nach der Wahlniederlage aufs Tempo: Zustimmung zu gesamtdeutschen Wahlen am 2.Dezember Ost-Berlin plant dagegen für den 1. Advent Landtagswahlen / SPD hofft auf DDR-Schwesterpartei und will Volksabstimmung
Bonn/Berlin (taz) - Nach den Wahlniederlagen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen drücken CDU und CSU beim Prozeß der deutschen Einheit mächtig aufs Tempo. Die Spitzen ihrer Bundestagsfraktionen sprachen sich gestern einmütig für gesamtdeutsche Wahlen zum 1. Advent (am 2. Dezember) oder 13. Januar aus. Am Tag zuvor hatte Kohl signalisiert, daß er eine Zusammenlegung der nächsten Bundestagswahlen mit Wahlen in ganz Deutschland befürworte. Im Ostberliner Innenministerium hingegen weiß man von diesen Planungen offenbar nichts: Hier arbeitet man an einem Gesetz für Landtagswahlen am 2. Dezember.
Die CDU in Bonn meinte, ein späterer Termin für gemeinsame Wahlen würde die Vereinigung nur noch teurer machen. Auch unter internationalen Gesichtspunkten sei ein rascher Urnengang angebracht. Bei der Forderung handele es sich zwar nicht um einen formellen Beschluß, aber die Tendenz sei „eindeutig“, hieß es in Unionskreisen. FDP-Chef Lambsdorff hatte die Forderungen nach baldigen Wahlen vorgestern ultimativ wiederholt.
Der Parteivorsitzende der SPD Hans-Jochen Vogel kritisierte die Diskussion um die Dezemberwahlen. Eine Vereinigung beider deutscher Staaten müßte in diesem Fall spätestens im September vollendet sein. Kohl erreiche damit das Gegenteil von dem, was die Botschaft der Wahlen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen sage. Die Einheit in diesem Tempo über die Köpfe der Menschen hinweg zu betreiben werde die Frustrationen gegenüber dem Einigungsprozeß verstärken. Die SPD beharrt auf eine Volksabstimmung am Ende eines Vereinigungsprozesses. Vogel gab sich überzeugt, daß die DDR -SPD der für vorgezogene gesamtdeutsche Wahlen notwendigen Verfassungsänderung nicht zustimmen werde. Die Grünen -Fraktionssprecherin Antje Vollmer bezeichnete den vorgezogenen Wahltermin als „demokratischen Putsch“ und forderte die Beibehaltung des Bundestagswahltermins.
Ungeklärt bleibt, ob der Kanzler seine Meinung zu den Ergebnissen der 4+2-Konferenz geändert hat. Kohl hatte in der vergangenen Woche eine von der Sowjetunion ins Spiel gebrachte Entkoppelung der inneren Einheit von den Bündnis und Souveränitätsfragen abgelehnt. Vor gesamtdeutschen Wahlen müßten die Vorbehaltsrechte der Siegermächte abgelöst werden, erklärte Kohl. Es erscheint unwahrscheinlich, daß in dieser Frage ein Einvernehmen mit der Sowjetunion noch 1990 erreicht werden kann.
gn/ak Siehe Tagesthema Seiten 2 und 3
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