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■ Möglichkeit der politischen PartizipationNur ein Anfang

Am 7. November 1993 wurde in Hessen gewählt. Erstmals in der Geschichte des Landes Hessen waren in mehr als 100 Gemeinden die nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger am gleichen Tag berechtigt, ihre kommunale Interessenvertretung für die nächsten vier Jahre selbst zu bestimmen. Trotz aller Bemühungen war die Wahlbeteiligung relativ niedrig. Ist der Ausländerbeirat wirklich ein echtes Interessengemeinschaftsorgan oder ist er mit seiner „Alibifunktion“ nur ein „Abstellgleis“ für die berechtigte Forderung nach dem Wahlrecht?

Wenn man den Ausländerbeirat als eine Alternative zum Wahlrecht sieht, dann ist diese Frage wohl berechtigt. Aber ein demokratisch legitimierter Ausländerbeirat in seiner Eigenschaft als kommunales Beratungsgremium ist keine Alternative zu dem schon überfälligen Wahlrecht für Nichtdeutsche. Er ist allenfalls nur dessen Ergänzung und die derzeit einzige Form der Teilhabe- und Einflußmöglichkeit der nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger an kommunalen Entscheidungsprozessen. Ein Ausländerbeirat, dem wie in Hessen die politische Unabhängigkeit zugestanden wird, hat keine Alibifunktion, weil er durch seine Tätigkeit dazu beitragen kann, daß die Interessen und Anliegen der nichtdeutschen Bevölkerung bei kommunalpolitischen Entscheidungen Anklang finden. Und der Zusammenschluß der kommunalen Beiräte auf der Landesebene (wie in Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen oder in Rheinland-Pfalz) eröffnet die Möglichkeit, diese Anliegen in die Landespolitik hineinzutragen.

Dies alles ist ein Beleg dafür, wie die Ausländerbeiräte, als eine Möglichkeit der politischen Partizipation fungieren können. Die Teilnahme der nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürger an den hessischen Ausländerbeiratswahlen – trotz der niedrigen Wahlbeteiligung – ist ein deutliches Signal ihres Interesses zum Engagement in den Kommunen. Dies alles zeigt aber auch, daß die Ausländerbeiräte nicht die letzte Stufe der politischen Partizipationsmöglichkeiten sein können. Nach 40 Jahren Migration in der Bundesrepublik ist es nun an der Zeit, die soziale, rechtliche und politische Gleichberechtigung aller zu dieser Gesellschaft gehörigen Menschen zu gewährleisten. Es ist die Aufgabe der deutschen Demokratie, die Minderheitenrechte der unter Sonderrechten gehaltenen Nichtdeutschen anzuerkennen. Die rechtliche Gleichstellung der Nicht-EG-Ausländer (deren Lebensmittelpunkt Deutschland geworden ist) mit den EG-BürgerInnen und die Gewährung des Wahlrechts wäre der erste Schritt in diese Richtung. Murat Çakir

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