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■ EinwurfNur Mut, Bezirke!

Nun los, Bezirksämter, die ihr schon lange Straßenumbenennungen geplant habt, aber wegen der möglichen Bürgerproteste gezögert habt: Jetzt habt ihr endlich freie Bahn!

Mit dem Beschluß des Oberverwaltungsgerichts (OVG) zur Axel-Springer-Straße und gegen die historische Lindenstraße habt ihr jetzt einen Persilschein in der Tasche. Denn nach Ansicht des OVG haben AnwohnerInnen oder Grundstückseigner kein Recht, gegen eine geplante Straßenumbenennung zu klagen. Wo kein berechtigter Kläger ist, kann aber auch niemand eine Umbenennung aufhalten.

Nur einen Trick muß man anwenden, wie die Senatsverwaltung für Verkehr bei der Springer-Straße es vorgemacht hat: Man erkläre die Umbenennung für sofort vollziehbar, dann hat auch ein Widerspruch eines Anwohners keine aufschiebende Wirkung. Egal, ob nun eine Eilbedürftigkeit besteht oder nicht (eigentlich ist das eine Voraussetzung für die sofortige Vollziehbarkeit), die Umbenennung kann dann durchgezogen werden. Mag sein, daß das Verwaltungsgericht anderer Meinung ist. Spätestens beim OVG wird der klagenden Bürgerin klargemacht, daß sie kein Recht zur Klage hat, also auch eine Sofortmaßnahme nicht angreifen kann, selbst wenn sie rechtswidrig ist.

Den Beschluß des OVG in Sachen Lindenstraße kann sich jetzt das Bezirksamt Charlottenburg zunutze machen. Für die Umbenennung der Reichssportfeldstraße in Flatowallee war die sofortige Vollziehbarkeit angeordnet worden. Auch hier muß jetzt das OVG über die Klageberechtigung der Anwohner entscheiden. Einen kleinen Haken hat die Sache: Wie kann einem denkenden Menschen klargemacht werden, daß er über die geplante Umbenennung informiert wird und Einwendungen machen darf, daß er aber kein Klagerecht haben soll? Das OVG hat mit seiner Entscheidung nicht nur der Senatspolitik den Weg geebnet, sondern sich auch gegen die Praxis zahlreicher anderer Oberverwaltungsgerichte gestellt.

Bis zu einer Entscheidung des Berliner Verfassungsgerichts, das hoffentlich weniger Verständnis für den Obrigkeitsstaat und mehr Verständnis für BürgerInnenrechte hat, kann die zynische Parole für die Bezirke nur lauten: Benennt die Straßen schnell um, das OVG wird euch die klagenden BürgerInnen schon vom Hals halten. Jürgen Karwelat

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