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Nur Lippenbekenntnisse

■ Bremer Eltern melden „Land unter“ in den Schulen / Kaputte Dächer, stinkende Klassenzimmer, Lehrermangel – Rundumfrust über die Bildungspolitik

Es herrscht Katastrophenstimmung unter Bremer Eltern. Die Schulen verfallen, Integrationsklassen von behinderten und nichtbehinderten SchülerInnen werden auseinandergerissen, der Unterrichtsausfall ist immens, der Lehrermangel auch, die Kollegien vergreisen. Gleichzeitig wird ein neues Wirtschaftsgymnasium eingerichtet – der Rundumfrust über die Bremer Bildungspolitik war spürbar, als der Zentralelternbeirat gestern vor die Presse trat. Trotzdem: Eltern, LehrerInnen und Schüler planen ein ganzes Bündel vion Aktionen, um die Misere öffentlich zu machen und ein Übel zu wenden, das ganz fett gedruckt in der Erklärung des ZEB stand: „Die Bildungsbehörde ist absolut handlungsunfähig“.

Es war ein Bild des Jammers, das von den Eltern aus allen Schulstufen gestern vom Schulalltag gezeichnet wurde. Der bauliche Zustand der Schulgebäude ist da nur der sinnfälligste Ausdruck der Misere. „Bis heute gibt es bei der Behörde kein ordentliches Kataster über die baulichen Mängel“, schimpfte die ZEB-Vorständlerin Margitta Schmidtke. Es gebe zwar ein „Ruinenkataster“, aber darin seien lediglich die krassesten Fälle schulischer Bruchbuden aufgelistete. „Die Schulleiter melden schon überhaupt nicht mehr, wenn die Toiletten nicht mehr funktionieren oder die elektrischen Anschlüsse zweifelhaft sind. Das fällt schon unter Kleinigkeiten.“ 1993 hatte der ZEB eine Dokumentation über bauliche Mängel erstellt, doch passiert sei seitdem nichts. An den kaputten Dächern und vergammelten Klassenzimmern habe auch der Runde Tisch Schulraumnot nichts ändern können, und der bestehe nun schon seit fünf Jahren. Deshalb hat der ZEB jetzt zur Selbsthilfe gegriffen. In dieser Woche wurde ein Fragebogen an alle SchulleiterInnen verschickt, auf dem sie den baulichen Zustand jedes einzelnen Klassenraumes bewerten sollen. Immerhin hat die Behörde beim Verschicken der Bögen geholfen, erzählten die ZEB-VertreterInnen. Aber große Unterstützung spürt der ZEB nicht. Birgit Weber-Meyer vom ZEB-Vorstand: „Die politische Ebene hat wohl verstanden, wieviel Zündstoff da drin ist.“

Von den BildungspolitikerInnen – quer durch alle Parteien – fühlt sich der ZEB ohnehin ziemlich alleingelassen. Unter dem Strich bleibt in der Bewertung der Bildungspolitik der letzten Jahrzehnte nur noch „totales Versagen“. Die Integrationsklassen würden abgeschafft, obwohl das Modell letztlich billiger sei als die gesellschaftlichen Folgekosten, die ohne die frühe Förderung behinderter Kinder entstünden. Das Problem LehrerInnenmangel und der daraus resultierende Unterrichtsausfall sei genauso bekannt, aber BildungspolitikerInnen und die Behördenspitze zuckten da nur mit den Schultern. Im kommenden Jahr etwa würden 160 Lehrerstellen wegfallen, hat der ZEB ausgerechnet. Das mache einen Verlust von mehr als 4.000 Lehrer-Wochenstunden aus – doch trotz steigender SchülerInnenzahlen werde von der Behörde nicht an Neueinstellungen gedacht. Dabei fällt schon jetzt bei allen Bremer Schulen die dritte Sportstunde aus, obwohl die im Lehrplan vorgesehen ist – nur bei einer Schule nicht, aber dafür klaffen dort dann andere Unterrichts-Löcher.

Mut macht dem ZEB allerdings, daß immer mehr Eltern von sich aus an die Elternvertretung herantreten. Deshalb soll es in den kommenden Wochen eine ganze Reihe von Aktionen geben, bis am 19.3. die Bürgerschaft über den Bildungs-Haushalt entscheidet: eine Demo gemeinsam mit der Lehrer-Gewerkschaft GEW für mehr LehrerInnen-Stellen, eine Fax-Aktion zu der konkreten Situation an einigen Schulen. Die Faxe sollen gleichermaßen an die Bildungssenatorin Bringfriede Kahrs, Finanzsenator Ulrich Nölle und Bürgermeister Henning Scherf gehen. Letzterer kann übrigens seinen Ruf in der Elternschaft nur noch verschlechtern. „Man muß mal sehen, wer in den letzten Jahren hier Politik gemacht hat, auch Bildungspolitik; und wer jetzt Bürgermeister ist“, schimpfte Heidrun Huthoff mit Blick auf die Verantwortlichkeiten für die Misere. Und ihre ZEB-Kollegin Suscha Hupka-Bartels ergänzte: „ Alles nur Lippenbekenntnisse.“ J.G.

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