: Nur „Diva“ sorgt für schnelles Telefonieren
■ Im Ostteil der Stadt ist das Telefonieren zu einem teuren Vergnügen geworden / Grundgebühr von 27 DM bei Zweieranschlüssen doppelt erhoben / Mehr Leitungen von West nach Ost geschaltet / 400.000 neue Anschlüsse bis 1997
Ost-Berlin. Die 55jährige Fernsprechteilnehmerin aus Friedrichshain zeigt aufgeregt auf ihre Telefonrechnung. Das könne doch nicht angehen, sagt sie, daß sie seit Juli für ihren Gemeinschaftsanschluß 27 DM Grundgebühr zahlen müsse. Sie könne doch nicht einmal telefonieren, wenn ihr Nachbar seinen Apparat benutzt. Die Frau wartet vor der Auskunftsstelle für Fernmeldegebühren in der Ostberliner Klosterstraße, wo sie sich eine Lösung ihres Problems erhofft.
Die Auskünfte im Zimmer 336 werden freundlich und zügig erteilt. Während der Tarifangleichung, so lautet die Standardantwort, betrage die Grundgebühr für ein Telefon 27 DM, auch wenn es sich um einen DDR-typischen Zweieranschluß handelt. Die Telefonkunden haben dabei zwar getrennte Apparate und Nummern, können aber nicht gleichzeitig telefonieren oder sich anrufen. Eine weitere Irritation der Kundin aus Friedrichshain wird in dem Informationsbüro ebenfalls aufgeklärt: die „54 DM“ in dem Kästchen für die Grundgebühr erklären sich damit, daß die Telefonrechnungen für zwei Monate erstellt werden und jetzt die Beträge für Juli und August fällig sind. Kein Glück also für die Telefonkundin aus Friedrichshain.
Mehr Glück hat eine andere Ostberlinerin mit ihrer Beschwerde, die sich darüber gewundert hat, daß sie bei ihrer Rechnung für die Monate Juni und Juli in Höhe von 9 Mark jetzt in Westmark bezahlen sollte. Eine Rückerstattung von DM 4,50 werde ihr im September gutgeschrieben, versichert man im Informationsbüro. Im übrigen sei die Post kulant, da für den Juli auch nur 9 DM statt 27 verlangt würden, was eigentlich rechtens sei (wollt ihr'n orden, oder was? sezza). „Das ging alles ein bißchen schnell“, kommentiert eine Mitarbeiterin des Informationsbüros das Abrechnungswirrwarr (komisch, mit den löhnen geht das alles viel langsamer. sezza).
Vor der Währungsunion stand die Misere ständig besetzter Telefonleitungen zwischen beiden Teilen Berlins im Vordergrund der Kundenbeschwerden. Die Lage hat sich inzwischen ein wenig entspannt, obwohl ein normales Telefonieren erst zum Jahresende möglich sein wird. Nach Angaben von Detlev Ullrich von der Landespostdirektion (West) sind seit dem 1. August 273 neue Leitungen von dem West- in den Ostteil der Stadt geschaltet worden - ihre Gesamtzahl beläuft sich jetzt auf 733. Auch gebe es mehr Leitungen von West-Berlin in die DDR: ihre Anzahl hat sich auf 273 verdreifacht.
Aus Ost-Berlin kommt man ebenfalls schneller durch, denn die bisher kläglichen 72 Leitungen wurden um 250 vermehrt. Eine weitere Verbesserung werde, so versichert Ullrich, auch der im vergangenen Monat gestartete Fernmeldesatellit „Kopernikus 2“ bringen; über den könnten 1.800 Leitungen von West nach Ost laufen. Im übrigen soll der Satellit besonders den Forderungen westlicher Unternehmen nach besserer Kommunikation entgegenkommen. So zum Beispiel mit dem System „Direkte Verbindung über Ausnahmeanschlüsse“ - kurz Diva -, das die DDR-Partner über bundesdeutsche Nummern erreichbar macht.
In Ost-Berlin wird jetzt immer klarer, daß verbesserte Leitungsverbindungen wenig nutzen, wenn die Anschlüsse nicht da sind. Zwar ist die Hauptstadt mit rund 400.000 Anschlüssen noch gut bedient, aber zum Ausbau des Telefonnetzes werden riesige Investitionen erforderlich insgesamt 55 Milliarden Mark will die Bundespost bis 1997 in der ganzen DDR dafür ausgeben.
Dieses Jahr werden, so erklärt Werner Boldt, stellvertretender Leiter der Postbezirksdirektion Berlin (Ost), im Ostteil der Stadt knapp 20.000 neue Telefone angeschlossen, ungefähr so viel wie im vergangenen Jahr. 1991 sollen es dann, berichtet Boldt weiter, schon 28.000 sein, im Jahr darauf 30.000. Bis zum Jahr 1997 soll es dann 400.000 neue Anschlüsse geben, doppelt so viele wie jetzt. „Wir werden das schaffen“, kommentiert Boldt das ehrgeizige Anschlußprogramm für die Zukunft.
„Hemmungen“ für den Telefonausbau in Ost-Berlin, fügt Boldt hinzu, ergäben sich vor allem daraus, daß in Siedlungsgebieten wie Kaulsdorf oder Altglienicke eine schlechte Netz-Infrastruktur vorherrsche, während in Neubaugebieten wie Marzahn die Technik gleich mit eingebaut werden konnte. Bisher habe man eine Vermittlungsstelle pro Jahr gebaut, bald müßten es fünf oder sechs sein. Dann soll westliche Digitaltechnik eingeführt werden und die bisherige veraltete Analogtechnik ablösen.
Den Telefonausbau mitfinanzieren wird auch der Ost -Telefonkunde - zumindest vorerst. Er kommt nicht in den Genuß der Freieinheiten wie im Westen; auch der Neuanschluß kostet 150 DM wie bisher und nicht 65 DM wie im Westen (achja, die kulante post. sezza). Wie die Gebühren in einem Einheitsdeutschland aussehen werden, darüber gebe es noch keine konkreten Aussagen, sagt ein Sprecher der bundesdeutschen Telekom in Bonn. Vorerst können die Ostberliner nur einen kleinen Vorteil ausnützen: sie können zum Ortstarif unbegrenzt lange in den Westteil der Stadt telefonieren, während Westberliner Quasselstrippen in Gegenrichtung bereits einem Sechs-Minuten-Takt unterworfen sind.
Christian Böhmer
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