■ Nur Clintons rascher Rücktritt kann jetzt noch helfen: In Washington geht nichts mehr
Sinn der Einrichtung eines unabhängigen Sonderermittlers war es einmal, politische Verfehlungen zu enthüllen, also Politik für die Öffentlichkeit transparent zu machen. Als am vergangenen Freitag selbst viele von Clintons Parteigängern im Repräsentatenhaus dafür stimmten, den Bericht sofort ins Internet zu stellen, wollten sie die Transparenz der Politik stärken. Zu lesen allerdings ist wenig mehr als die detailreiche Schilderung einer sexuellen Affäre. Erst Starrs Untersuchung selbst hat sie zum Politikum gemacht – dadurch, daß der Präsident sie leugnete und vertuschte. Um sie zu beweisen, hätte der Gentest ausgereicht. Dem Overkill einer peniblen Aufzählung von Begegnungen, Berührungen und Ejakulationen steht zudem eine dünne strafrechtliche Argumentation des Sonderermittlers gegenüber. Neue Skandale, zum Beispiel im Zusammenhang mit Parteispenden, hat Starr nicht aufgedeckt. Jedes Impeachment auf dieser Grundlage hat den Geruch eines politisch motivierten Verfahrens.
Trotzdem wird Clinton ein Freispruch mangels Beweisen nicht mehr helfen. Die Checks and Balances der amerikanischen Politik haben das lähmende Verfahren vorgegeben, das uns im nächsten halben Jahr erwartet. Einen Vorgeschmack der peinlichen Enthüllungen und Gegenenthüllungen, die einsetzen, wenn Abgeordnete über ihren ehebrechenden Präsidenten urteilen, bekam am Wochenende schon eine republikanische Abgeordnete aus Idaho zu spüren. Kaum war sie über Clintons Unmoral hergezogen, da zwang man sie, eine seit Jahren dauernde Affäre öffentlich einzugestehen.
Derweil wird sich die Spirale unaufhaltsam weiterdrehen, die die Politik in Weißen Haus allmählich zum Verschwinden bringt. Nur Clinton selbst kann uns und allen das ersparen, mit seinem schnellen Rücktritt. Die Republikaner hatten schon lange nicht mehr die Macht, den von ihnen losgelassenen Zauberlehrling Starr mit einem „Besen, Besen – sei's gewesen!“ wieder in die Ecke zu stellen. Zu stark hatte der ganze Prozeß die Unterscheidung, was noch privat und was schon öffentlich ist, eingeebnet. Die Führung der republikanischen Mehrheit im Kongreß befindet sich im bekannten Dilemma: Rückt Vizepräsident Al Gore im Fall einer Amtsenthebung vorzeitig nach, dann verbessert das seine Chancen, im Jahr 2000 als amtierender Präsident wiedergewählt zu werden. Deshalb hat sich Republikaner-Chef Newt Gingrich in seinem Kommentar zum Starr-Report auffallend zurückgehalten.
Doch auch er wird bald sehen, daß seine bisherige „Ermattungsstrategie“ – Clinton schwächen, aber nicht stürzen – am Ende ist. Matter geht's nämlich für Clinton nicht. Jetzt kann nur die amerikanische Politik noch weiter ermatten. Und damit ist es schon recht weit gekommen. Der „Präsident ohne Hosen“ wird keine innenpolitische Reform mehr angehen können. Das allein scheint in den USA nicht weiter zu stören, solange die Konjunktur als Jobmaschine nicht wegbricht. Dies wiederum hängt von Rußland, Asien und Lateinamerika ab. Innen-, Wirtschafts- und Außenpolitik sind heute nicht mehr so zu trennen wie vor dreißig Jahren. Auch unter dem von Watergate lahmgelegten Nixon konnte Kissinger noch Außenpolitik machen, den Durchbruch mit Peking erzielen.
Heute kommt aus Washington kaum noch etwas. Kein Konzept für den Nahost-Prozeß. Ratlosigkeit gegenüber dem Irak. Keine Idee, wer von den beiden Hauptfeinden, Iran oder das Taliban-Afghanistan, als das geringere Übel zu gelten hat. Eine Balkan-Politik, die genauso unentschlossen ist wie die der EU. Vor allem aber Hilflosigkeit gegenüber der Krise in Rußland, wo ein ähnlich handlungsunfähiger Präsident sich gerade das Heft aus der Hand nehmen läßt – von einem Parlament, das weder Interesse an noch Kraft für eine Reformstrategie hat, die sich jenseits von neoliberaler Plutokratie und einem Zurück zur Kommandowirtschaft bewegt.
Helfen kann da nur ein rascher Wechsel im Weißen Haus. Aber davon müssen noch Bill und vor allem Hillary Clinton überzeugt werden. Michael Rediske
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen