: Nummer 7 lebt!
Du glaubst, das komische Schaben wäre Staub auf der Platte, aber es ist der Beat des Stücks! Das finnische Sähkö-Label veröffentlicht Musik, für die es bislang weder Ort noch Namen gibt. Die härene Hülle ziert ein schlichter Formularstempel ■ Von Martin Pesch
„Klingt wie Sähkö“ – das ist eine inzwischen gut eingeführte Redewendung, wenn es darum geht, elektronische Musik zu beschreiben. Und zwar elektronische Musik, die nicht auf einfache Namen wie Techno oder Ambient hört. Musik, die irgendwie seltsam klingt. So seltsam wie das Wort Sähkö. Die finnische Plattenfirma dieses Namens hat mittlerweile einen solchen Ruf erlangt, daß ihr Markenzeichen zu einem Oberbegriff werden konnte. Er steht für einen gewissen Hang zu Verschrobenheit und Exotik – Finnland!!! – und den damit verbundenen Besitz an Spezialwissen. Denn Sähkö- Schallplatten erreichen die Fachgeschäfte nur in kleinen Auflagen, und nur, wenn man regelmäßig das Neuheiten-Fach durchforstet, wird man auf ein Exemplar stoßen.
Es gibt nicht den Sähkö-Sound, aber Sähkö-Veröffentlichungen machen eine bestimmte Haltung deutlich, die auf alle Acts bisher übertragbar ist. Es ist eine Haltung der Abkehr, die innerhalb der Technoszene einen immer breiteren Raum erobert. Techno wird nicht mehr auf die Funktion der Musik auf der Tanzfläche beschränkt, sondern weitet sich auf einen musikalischen Bereich aus, den man vor zwei, drei Jahren vielleicht noch Avantgarde oder Experimentalmusik genannt hätte. Mit diesen Begriffen schmückt sich aber niemand gerne – insbesondere dann nicht, wenn man in den späten achtziger Jahren auf Acid House Parties im finnischen Tampere die ersten Gehversuche mit und zur Musik gemacht hat.
Grob gesprochen gibt es eine musikalische Tendenz innerhalb von Techno, die nicht mehr zu den Kommunikationsformen von Techno – Tanzen, Club, Rave etc. – paßt. Die bisher von Sähkö veröffentlichten Platten decken den Bereich ab zwischen dem Brummen alter Moogs, übersteuerten Beats, minimalistischen Rhythmen, flotten Housegrooves und allen Bezeichnungen sich verweigernden Geräuschen. Dieses Nicht-Programm, dem man als Nenner vielleicht noch die Verwischung von Genregrenzen unterschieben kann, ist vergleichbar mit dem einer Reihe anderer Labels wie zum Beispiel Profan in Köln, Mego in Wien/Berlin, Axodry in Bern, Klang Elektronik in Frankfurt/ Main oder Clear in London. Es gibt also eine Szene von Produzenten und Firmenbetreibern, die biographisch mit Techno verbunden sind, seit einiger Zeit aber versuchen, musikalische (und auch ökonomische) Formen zu erweitern. Obwohl die betreffenden Veröffentlichungen in der einschlägigen Presse große Beachtung finden, ist ihre Verbreitung noch sehr eingeschränkt. Das liegt auch daran, daß es so gut wie keine öffentlichen Orte (Clubs, Radiosendungen) gibt, an denen man eine Sähkö- Platte zu Gehör bekäme.
Trotzdem erkennt man Sähkö- Platten sofort – auch von außen: Sähkö benutzt zur Identifizierung seiner Produkte einen Formularstempel. Dessen linke Seite ist ausgefüllt mit einem Diagramm, das von einer Sinuskurve durchzogen wird. Auf der rechten Seite steht der Labelname, darunter ist Platz, um die laufende Nummer der Veröffentlichung sowie gegebenenfalls den Namen des Projektes und den Titel der Platte einzutragen. Die Nr.7 ist lediglich gekennzeichnet durch das Signet der Firma Panasonic. Die Platte kann also nur unter dem Namen eines internationalen Elektronikkonzerns kommuniziert werden.
Der Reiz der Benutzung von Firmenlogos und Markenzeichen technischer Produkte liegt in der Verneinung einer Grenze zwischen dem für jede kulturelle Produktion notwendigen technischen Hilfsmittel und dem damit produzierten Ergebnis. Das, was im Rockbereich jeweils ausgegrenzt beziehungsweise an jeweilige Spezialisten delegiert wird (auf der einen Seite zum Beispiel Rolling Stone und Spex, auf der anderen Keyboard und Fachblatt), wird im Technobereich stets zusammen betrachtet. In den einschlägigen Magazinen werden mit derselben Akribie Neuerungen am Akai S950 wie Veränderungen im musikalischen Universum eines kleinen Labels notiert. Daß diese in der Kommunikation über Techno nicht vorgenommene Trennung zwischen Produzieren und Produkt nicht mit einer unreflektierten Technologiebegeisterung zusammenhängt, sondern mit einem neuartigen Verhältnis zwischen Produzent und Rezipient, muß nicht betont werden. Die Trennung zwischen musikalischer Relevanz und technischem Wissen und Können, die im Rockbereich etwa zu der Tocotronic-Textzeile „Gitarrenhändler, ich hasse euch“ und zu der Regel „Je mehr Paiste- T-Shirt, desto schlechter die Band“ führte, hat in der Technomusik nicht stattgefunden. Hier ist es sogar so: Je offensiver das Zurschaustellen der Verweise auf Technologie, desto interessanter die Musik.
Die Platte des Sähkö-Acts Sil etwa enthält drei lange und leise an analogen Synthesizern vorgenommene Soundmodulationen. So leise, daß das Knistern des Vinyls musikalisches Element wird. Irgendwann beginnt ein regelmäßig wiederkehrendes Geräusch, das man durch Staub auf der Platte verursacht glaubt. Tatsächlich ist es aber der Beat des Stückes. Das für Techno charakteristische musikalische Element wird von Sil als Störgeräusch eingesetzt.
Die beiden Stücke auf der Maxi von Kirlian, einem in New York arbeitenden Produzenten, der auch unter dem Namen Abe Duque veröffentlicht, heißen „Groove 1“ und „Groove 2“. Der Minimalismus der Namensgebung spiegelt sich in der Musik. Die Artikulation der rhythmischen Unterlage wird gestört durch vereinzelt gesetzte und dann im Hall verschwindende Geräusche. Das klingt über die Länge der Tracks, als wehre sich ein funktionales Gebäude gegen das Anbringen von Ornamenten.
Tommi Grönlund, der Gründer von Sähkö, betreibt das Label neben seinem Beruf als Architekt. Auf die Beziehung zwischen seinen beiden Tätigkeiten angesprochen, meint er: „Einige Arten von Mustern und Konstruktionen in der Architektur und in der Musik ähneln sich. Sound kann verglichen werden mit Licht, Material und Form. Emotional reagiert man sehr ähnlich auf diese Elemente, und man benutzt dieselben Worte, um sie zu beschreiben.“
So schlecht man zu Architektur tanzen kann, so schwierig lassen sich Sähkö-Platten in Worte fassen. Aber wenn man sie einmal gehört oder gesehen hat, bekommt man den Eindruck eines durchdachten Plans, der die Orientierung etwas leichter macht. Dinge klingen ab dann entweder wie Sähkö oder nicht.
Sähkö-Platten werden in Deutschland über Neuton vertrieben. Die Platten von Sil und Kirlian sind als kürzlich erschienene Veröffentlichungen Nr. 9 und 10 vielleicht noch im Handel. Auf dem Sublabel PUU sind die Easy-Listening- Platten von Jimi Tenor „Sähkömies“ und „Europa“ erschienen.
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