Null-Toleranz bei Cannabis: Kein einziges Gramm mehr
Innensenator Frank Henkel will drogenfreie Zonen und versucht sich dabei als harter Hund zu profilieren.
Die CDU ringt um ihr Profil. Innensenator Frank Henkel muss als harter Hund punkten, will er neben dem neuen Regierenden Bürgermeister bestehen. Die Probleme mit den Dealern im Görlitzer Park kommen da gerade recht. Einen Tag, bevor Michael Müller (SPD) seine Regierungserklärung abgab, stiegen Henkel und Justizsenator Thomas Heilmann (CDU) deshalb in die Bütt. Auf einer überstürzt einberufenen Pressekonferenz teilten sie am Mittwoch mit, dass es in der Stadt drogenfreie Räume geben werde. Wie das gehen soll, blieb vage. Nicht einmal die Polizei und Staatsanwaltschaft waren über die Ausgestaltung des Vorhabens informiert, so heiß ist das Ganze gestrickt.
In Berlin sind bis zu 15 Gramm Cannabis für den Eigenverbrauch erlaubt. Bei bis zu 10 Gramm muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren einstellen. Vor Kindergärten, Spielplätzen, Schulen, Jugendheimen und Bahnhöfen dürfen Drogen weder erworben noch dort konsumiert werden. Das alles steht in den seit 2010 geltenden Berliner Richtlinien zur Anwendung des Paragraphen 31a Betäubungsmittelgesetz. Die Richtlinie läuft im Mai 2012 aus. Sie muss also erneuert werden. Henkel und Heilmann haben wiederholt angekündigt, dass sie die Eigenbedarfsmenge auf 6 Gramm begrenzen wollen. Weil es sich um eine Verordnung handelt, hat das Parlament kein Mitwirkungsrecht.
Intern haben sich die rechtspolitischen Sprecher von CDU und SPD über das Vorgehen aber sehr wohl verständigt. Herausgekommen ist ein Deal: Die Eigenbedarfsgrenze von 15 Gramm bleibt unverändert. Im Gegenzug sollen die Richtlinien dahingehend verändert werden, dass Generalstaatsanwaltschaft und Polizeipräsident ausgewählte Orte auf Zeit zu „drogenfreien Bereichen“ erklären dürfen. Die Richtlinie tritt zum 1. April in Kraft. Dass vor Kindergärten und Schulen geltende Verbot soll präzisiert werden, für eine Aufklärungskampagne für den Jugendschutz gibt es Mittel in Höhe von 500.000 Euro.
Am Mittwoch bei der Pressekonferenz sprach Henkel von Null-Toleranz Zonen. Gebiete wie der Görlitzer Park sollten komplett drogenfrei werden. Ziel sei, die Dealer zurückzudrängen, so Henkel. 50 Polizisten sollten sich als Brennpunktstreifen um den Park kümmern. Von morgens bis abends wären acht bis 20 Polizisten ständig unterwegs. Außerdem würden sich weitere 50 Polizisten in einer Sonderermittlergruppe um das Thema kümmern. Die Berliner Morgenpost schlagzeilte am Donnerstag zwar: „Harte Linie gegen Drogen“. Aber der Applaus bei der Polizei, die zur CDU Stammwählerschaft gehört, blieb aus.
Der stellvertretende Landesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Matthias Weitemeier, sprach in einer Pressererklärung von „Aktionismus“. Die Pläne zur Eindämmung des Drogenhandels rund um den Görlitzer Park seien unausgegoren, für dauerhafte Brennpunktstreifen fehle das Personal. Sinnvoller wäre es, Drogenwege und Netzwerke zu ermitteln. Der Vorsitzende des Deutschen Hanfverbandes Georg Wurth sprach von reiner Symbolpolitik. Für die Polizei sei das personell nicht durchhaltbar. Dass GdP und Hanfverband einer Meinung sind, ist noch selten dagewesen.
Auch rein rechtlich hält Wurth Null-Toleranz-Zonen für äußerst fragwürdig. Er glaube nicht, dass diese vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand hätten. „Folgt man Henkels Logik, müsste die halbe Stadt zur Null-Toleranz-Zone erklärt werden“, sagte auch Monika Herrmann, grüne Bürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg am Donnerstag. Die Probleme seien nur durch eine kontrollierte Abgabe von Cannabis in den Griff zu bekommen – Grüne und Hanfverband finden das schon lange. Aber nun fordern neuerdings auch Teile der SPD die Entkriminalisierung von Cannabis.
Deren gesundheitspolitischer Sprecher Thomas Isenberg lädt Ende Januar zu einer Fachtagung. Das Thema: Neue Wege in der Drogenpolitik.
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