Nukleare Katastrophe in Japan: Angst vor der Schmelze
Verseuchtes Wasser bremst die Arbeiten. Steht Block 3 vor dem Durchbrennen? Den Reaktorkernen droht ein Salzmantel, der das Abkühlen verhindert. 17 Arbeiter wurden verstrahlt.
BERLIN taz | Erst das Feuer, dann die Strahlung, jetzt das Wasser: Stark radioaktives Löschwasser hat bis Freitagabend Ortszeit die Rettungsarbeiten am havarierten Atomkraftwerk Fukushima I gestoppt. In den Blöcken 1, 2 und 3 des Unglückskraftwerks hat sich das Meerwasser gesammelt, das seit Tagen über die Reaktoren gesprüht wird und dabei radioaktiv verseucht wird.
Gleichzeitig wuchsen die Sorgen um den Reaktor 3, der mit 170 Tonnen Brennelementen beladen ist, die auch das Supergift Plutonium enthalten. Offenbar tritt aus der Reaktorruine starke Strahlung aus. Erste Experten vertreten deshalb die Ansicht, dass der Druckbehälter bereits seine Hülle durchschmilzt. Das wäre der erste Schritt zu einer unkontrollierten Freisetzung des glühenden Reaktorkerns. "Wir haben Probleme mit dem Strahlenschutz", erklärte Hidehiko Nishiyama, der Sprecher der Atomaufsichtsbehörde Nisa.
In der Tat: Bereits am Donnerstag waren zwei Arbeiter in der Turbinenhalle neben Block 3 extrem stark verstrahlt worden. Den Technikern war bei der Reparatur von Kabeln Wasser in die Schuhe gelaufen, das 10.000-mal so stark strahlte wie erlaubt. Sie mussten mit Verbrennungen ins Krankenhaus gebracht werden, bisher wurden nach offiziellen Angaben 17 Arbeiter verstrahlt. Insgesamt arbeiten nach Informationen der Behörden etwa 300 Ingenieure rund um die Uhr auf der Atomanlage.
Woher die extrem starke Kontamination des Wassers stammte, war unklar: entweder aus dem Brennelementelager bei Block 3 oder direkt aus dem Reaktorkern. Die Angaben der Behörden, Experten und Betreiber zu dieser Frage sind widersprüchlich. Sie zeigen den Mangel an verlässlichen Daten: So gibt es etwa seit Beginn der Katastrophe keine offiziellen Informationen darüber, ob und wie die Brennelemente in Reaktor 3 beschädigt sind, die Angaben für die Reaktoren 1 und 2 wurden seit Tagen nicht aktualisiert. Ein Sprecher der Nisa erklärte gegenüber dem TV-Sender NHK, man sei überzeugt, dass das hochverstrahlte Wasser aus dem Reaktorblock 3 komme. Es gebe allerdings keine Hinweise darauf, dass der Druckbehälter beschädigt sei, die Strahlung komme "von irgendwo aus dem Reaktor".
Nur noch rauchende Trümmer
Andere Experten sehen die Lage deutlich kritischer. Ein Sprecher der Betreiberfirma Tepco sagte: "Es ist möglich, dass der Behälter mit den Brennstäben beschädigt ist." Und die Experten der französischen Atomaufsicht IRSN haben eine Theorie entwickelt, wonach die hohen Strahlenwerte daher stammen, dass die Schmelze des Reaktorbehälters im Block 3 bereits im Gange ist: Das "Corium", die radioaktive Lava aus Brennstäben und Metall, habe offenbar schon den Metallmantel des Druckbehälters durchgefressen und reagiere bereits mit dem Beton der äußeren Sicherheitshülle. Stimmt diese Theorie, dann kündigt sich eine noch deutlich größere Katastrophe in Fukushima an: Das Corium könnte mit dem Wasser im äußeren Sicherheitsbehälter eine massive Dampfexplosion erzeugen, die Schutzhülle wegsprengen und massiv Radioaktivität freisetzen.
Schon jetzt sind die Reaktoren nur noch rauchende Trümmer, wie ein aktuelles Video der japanischen Streitkräfte zeigt. Von einem Hubschrauber aus gefilmt, zeigt sich, dass aus Block 2 und 3 kontinuierlich weißer Qualm aufsteigt. Eine bisher versteckte Gefahr ist aber offenbar das Salz aus dem Meerwasser, das die verzweifelten Helfer seit zwei Wochen auf die glühenden Reaktoren sprühen und in die durchgebrannten Reaktorkerne einleiten. "Das Salz bereitet uns große Sorge", sagte am Freitag Verteidigungsminister Toshimi Kitazawa. So schnell wie möglich wollen die Rettungsmannschaften wieder dazu übergehen, die Reaktoren mit Süßwasser zu kühlen.
Die Angst dahinter: Wenn das Meerwasser verdampft, bleibt das Salz zurück und verkrustet die Brennelemente in den Reaktoren, aber auch in den Abklingbecken. Die Salzkruste verhindert ein Abkühlen der glühenden Stäbe und treibt die Temperaturen weiter hoch. Bisher sollen sich an den Blöcken 2 und 3 jeweils 45 Tonnen Salz abgelagert haben. Die französische und die US-amerikanische Atomaufsicht haben die Japaner bereits deutlich auf die Risiken dieser Entwicklung hingewiesen.
Nach Auskunft der deutschen "Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit" (GRS) gibt es "keine Untersuchungen" zu diesen Thema, das Problem wird eher als gering eingestuft. Für den unabhängigen Atomexperten Mycle Schneider dagegen ist der Reaktorkern im Salzmantel eine Horrorvorstellung. Das Salz verhindere nicht nur eine Kühlung, sondern greife auch noch die Behälter für das Wasser an. "Dagegen helfen nur Spezialfirmen, die sich mit der chemischen Reinigung der Anlagen auskennen", sagt Schneider. "Die Japaner müssten dafür endlich eine internationale Task-Force zusammenstellen."
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