: Notlagen ausgenutzt
■ Kreditvermittler nutzte Unwissenheit von hochverschuldeten Menschen aus
Tiergarten. Roger F. hat sein Wissen teuer verkauft. Zu teuer, findet die Staatsanwaltschaft, die den Mitarbeiter einer Rechtsanwaltskanzlei wegen Wucher und Betrug in 31 Fällen vor das Landgericht Moabit zitierte. Helmut V. (Name von der Red. geändert), dem schon der Strom abgestellt war, schickte er zur Filiale der Hanseatik-Bank in der Kantstraße, wo dieser einen Kredit über 10.000 Mark aufnahm. Seine „Kreditvermittlung“ bestand darin, dem hochverschuldeten V. zu sagen, bei welcher Bank er unter diesen Umständen noch einen Kredit bekäme, und in der Hilfe beim Ausfüllen der Kredit-Formulare. Dies ließ er sich mit 1.700 Mark in bar honorieren. Frank K., dem wegen aufgelaufener Mietschulden die Kündigung drohte, kostete sein 2.400 Mark-Kredit zu satten 35 Prozent Zinsen 300 Mark.
Friedhelm K. konnte nach seiner Übersiedlung aus der DDR seine Familie nicht mit seinem spärlichen Lohn unterhalten und besaß keinerlei Kenntnisse des westdeutschen Kreditwesens. Von ihm ließ sich F. in seinem Daimler eine Gehaltsabtretung von 4.000 Mark unterschreiben. Er versprach ihm dafür einen Kredit von 10.000 Mark, den K. jedoch nie erhielt.
„Die Provisionen, die bis zu 35 Prozent der Kreditsumme betragen, liegen weit über dem, was ortsüblich ist“, erläuterte Staatsanwalt Wolfgang Kirstein die Vorwürfe gegen F. Durch die hohen Abzüge erhöhe sich zudem der effektive Jahreszins auf bis zu 337 Prozent des Basiszinses. F. habe Unerfahrenheit und Zwangslagen seiner Kunden ausgenutzt. Letztere waren meist hochverschuldete DDR-Übersiedler oder Ausländer, die der deutschen Sprache nicht mächtig waren. Seine erbrachten Leistungen stünden in einem offenkundigen Mißverhältnis zu der von ihm geforderten Summe. Verschärfend kommt für die Staatsanwaltschaft hinzu, daß F. die Taten während einer laufenden Bewährungsfrist begangen habe. Er war bereits 1989 wegen versuchter Nötigung und versuchten Betrugs verurteilt worden. Er hatte eine offensichtlich gestohlene Kaminuhr vermutlich über Dritte weiterzuveräußern versucht. Das Verfahren soll jedoch noch einmal aufgerollt werden, da die Staatsanwaltschaft den Verdacht der Hehlerei für nicht ausreichend widerlegt hält.
Rechtsanwalt Aribert Streubel beantragte bereits in der ersten Sitzung die Einstellung des auf mindestens zehn Prozeßtage veranschlagten Verfahrens. Provisionen von bis zu 30 Prozent seien weder unüblich noch sittenwidrig. „Vom Ausnutzen einer Zwangslage kann man auch nicht reden, wenn sich jemand ein Wohnzimmer einrichten will“, so Streubel.
F. selbst betonte, er habe nicht nur Banken empfohlen, sondern über Kontaktpersonen bei denselben Vorgespräche geführt und zum Teil negative Schufa-Eintragungen für seine Klienten gelöscht. „Ich habe die Kunden erst übernommen, wenn andere Kreditvermittler aufgegeben und mich angerufen haben.“ Er verwahrte sich dagegen, sein Honorar zu den Zinsen der Banken ins Verhältnis zu setzen. „Mein Honorar war nicht anteilig an die Kreditsumme gebunden. Welche Zinsen die Banken nahmen, wußte ich oft gar nicht. Die machen ihr Geschäft und ich meins.“ cor
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