berliner szenen: Nostalgie für den Sommer
Jetzt, wo der Sommer nun wirklich und endgültig vorbei ist, vermisse ich ihn schrecklich. Ich sitze an meinem Schreibtisch und blicke wehmütig auf die wenig befahrene, nass-schwarze Straße. In diesem Augenblick fühlt es sich an, als wäre der Sommer schon vor mindestens einem Jahr und nicht erst vor drei Wochen zu Ende gegangen. Vor genau diesen drei Wochen lag ich morgens in einem kleinen und sehr feuchten Zelt auf dem wohl letzten Festival dieses Jahres.
Geweckt hat mich die Sonne, die damals – man kann es kaum mehr glauben – morgens schon eine enorme Kraft entwickeln konnte und unser Zelt in eine Sauna verwandelt hat. Ich versuche mich also schnell und schwitzend aus meinem Schlafsack zu befreien, ohne meinen Freund zu wecken. Dabei lausche ich dem Gespräch unserer Nachbarn, die gestern Abend zu unserer großen Freude ihr Zelt 20 Zentimeter neben unseres gebaut haben. „So ein Mist, ich habe schon wieder kleine Orangen statt Mandarinen gekauft“, höre ich eine männliche Stimme direkt an meinem Ohr. „Wie doof“, antwortet eine weibliche. Ja, wirklich doof, denke ich. „Irgendwie denke ich immer, dass kleines oranges Obst Mandarinen sind“, sinniert die männliche Stimme. Ich krabble umständlich aus dem Zelt und überlege, ob ich es vielleicht doch noch einen Tag ohne Duschen aushalte.
Während ich mich jetzt an meinem herbstlichen Schreibtisch in diesen Festivalmorgen hineindenke, schrumpft meine Sommernostalgie merklich in sich zusammen. Dieser doofe Berserkersommer, denke ich, hat zur Folge, dass man nicht mit Bestimmtheit sagen kann, ob die Bäume vor meinem Fenster ihre Blätter verlieren, weil Oktober ist oder weil sie die letzten Monate so fürchterlich unter der Trockenheit gelitten haben. So freue ich mich doch über den Regen, ganz selbstlos natürlich, für die Bäume. Marlene Militz
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