■ Mit Neinsagern auf du und du: Norwegen boomt ohne EU
Oslo (dpa) – Bei Norwegens Industrieverband NHO müßte angesichts glänzender Wirtschaftsdaten eigentlich eitel Sonnenschein herrschen. Trotzdem bringt Konjunkturexperte Tor Hersoug in der Osloer NHO-Zentrale die guten Nachrichten nur ziemlich gequält über die Lippen: „Für die nächsten fünf bis zehn Jahre sieht es insgesamt sehr rosig aus.“
Ein halbes Jahr nach dem trotzigen Nein der norwegischen Bevölkerung zum EU- Beitritt wird den NHO-Leuten allenthalben vorgehalten, daß ihre Untergangsprognosen für den Fall einer Ablehnung inzwischen nur noch lächerlich wirken: Norwegen erlebt im europäischen Vergleich in den letzten Monaten einen beispiellosen Wirtschaftsaufschwung. Die Zinsen sinken, die Arbeitslosigkeit ist auf knapp über fünf Prozent gefallen, der Investitionsboom mit einem Plus von 15,5 Prozent bleibt 1995 ungeschwächt, und Norwegen hat seine Auslandsschulden voll abbezahlt.
Finanzminister Sigbjörn Johnsen kann dem Parlament, dem „Storting“, einen Haushalt mit Aussicht auf schwarze Zahlen bei sinkender Inflationsrate (1995: 2,5 Prozent) im kommenden Jahr vorlegen.
Derselbe Minister hatte die Wähler vor der Volksabstimmung eindringlich vor steigenden Zinsen und einer höheren Teuerungsrate im Falle eines Sieges der EU-Gegner gewarnt. Heute hält Johnsen sich selbst und seiner Regierung zugute, negative Folgen des Neins höchstpersönlich verhindert zu haben: „Mit unserer anhaltend restriktiven Finanzpolitik haben wir den Märkten die richtigen Signale gegeben.“ Der Minister weiß aber wie jedermann in Oslo genau, daß die Märkte vor allem um die Stabilität der norwegischen Öl- und Gaseinkünfte aus der Nordsee wissen. Vor allem die zum Leidwesen der Opec-Staaten expansive Förderpolitik Oslos in den letzten zwei Jahren hat mit daraus folgenden Milliardeneinnahmen dafür gesorgt, daß Norwegens Bruttonationalprodukt um fünf Prozent und damit stärker als erwartet zunahm.
Während in praktisch allen westeuropäischen Ländern immer erbitterter um den Abbau von Sozialleistungen wegen leerer Staatskassen gestritten wird, geht es bei den Öl-Millionären aus dem Norden um zusätzliches Geld für Soziales. „Die heißeste Kartoffel der kommenden Jahre wird die Frage der Ölfonds“, bestätigt der Finanzminister.
Seit Beginn der Öl- und Gasförderung aus der Nordsee wird in Oslo über den „Ölfonds“ debattiert. Bisher aber wurde nie etwas aus dem Vorhaben, die Einnahmen – 1995 immerhin fünf Prozent des Bruttonationalproduktes – gewinnbringend für spätere Zeiten anzulegen, weil immer wieder Haushaltslöcher zu stopfen waren. Daß nun Ernst gemacht werden soll, werten die Gegner des norwegischen EU-Beitritts als Bestätigung ihrer Linie.
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