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■ NormalzeitNeue Wohnung, neues Leben

Fünf Jahre lang suchte ich verzweifelt, das heißt, eigentlich wartete ich eher mürrisch darauf, daß mir eine schicke Wohnung in angenehmer Lage zufliegen würde. Ab und an kam auch eine vorbei, doch es war nie die richtige, oder andere bekamen den Zuschlag. Als ich schon am Verzweifeln war, klappte es dann doch. Doch das Glück mußte noch ein wenig warten, denn ein paar herumpfuschende Handwerker brauchten nicht zwei Wochen – wie besprochen –, sondern zwei Monate, um zu modernisieren, wie man sagt, wenn's um den Einbau von Naßzelle und Innenklo geht. Um mich zu ärgern, ließen sie einen blauen Eimer mit einer Mischung aus Farbe, Spachtelresten, Dreck und Pisse in der Wohnung. So sind sie halt, die Handwerker: immer gut drauf. Am witzigsten war der Chef der Trockenbauer, der gern zusammen mit mir über faule Handwerker schimpfte, als hätt' er mit denen nix zu tun.

Wenn die Handwerker fort sind, beginnen die eigentlichen Renovierungsarbeiten. Entschlossen wird die Wohnung stets in falschen Farben gestrichen. Überall beginnt man Löcher in die Wände zu bohren. Immer größer werden die Löcher, Staub rieselt, als seien die Wände mit Sägemehl gefüllt. Plötzlich rutscht der Bohrer durch die hingepfuschte Rigipswand in die Küche des Nachbarn. Irgendwann registriert man höhnisch, daß man dabei ist, die schöne neue Wohnung, das neue Leben gar, zu zerstören, und fängt an, alles wieder zuzuspachteln. Wenn man selber schon während des Renovierens die Wohnung bezogen hat, verwirrt man sich auch gerne in Provisorien. Um die Umzugskartons endlich leeren zu können, baut man zum Beispiel mit idiotischen Regalen den Flur zu. Eigentlich sollen sie nur eine Woche da stehen. Meist bleiben sie ein Leben lang – lächerliche Manifeste mißlungenen Scheiterns.

Viele Dinge begehrten Einlaß in die neue Wohnung: Nägel, Schrauben, Duschvorhänge, Regalbretter, Farben, Teppichböden, Lampen, Kommoden, Aschenbecher, Spiegel, „Hugo, der Allesfresser“, ein Mülleimer im leuchtenden Blaugrün, sowie Möbel. Die heißen „Ivar“, „Ulvik“, „Björn“ oder „Anna“.

Das Leben ist schön: den Tag über einkaufen, abends in Gesellschaft, in der Nacht auf den Straßen, und nichts übers Maß. Jeden Tag war ich in irgendwelchen „A&V“-Läden. Wenn das Gewünschte nicht da war, nahm ich halt was anderes. Statt eines Küchenschranks kaufte ich die Memoiren von Sepp Maier („Ich bin doch kein Tor“), statt einer Lampe tausend Zigarrenschachteln. Auf der Suche nach Sonnenbrillen entdeckte ich versteckt im Halbschatten alte Pornomagazine mit merkwürdigen Textteilen: „Für uns ist die Wissenschaft, daß wir erwischt werden können, während wir ficken, unglaublich geil...“, hieß es da. Melancholisch stimmten alte Fotoalben, in denen längst verstorbene Frauen an Geländern vor Flüssen, Bergen, Wasserfällen gelehnt in die Kamera winken, sowie ein alter Super-8-Film, in dem eine ältere Frau einfach nur schlief.

Trödelläden sind die klassischen Orte der Abschweifung. Stets nimmt man irgend was anderes mit. Doch auch, wenn man das Gesuchte findet, ist es am Ende meist das Falsche. Nicht ganz das Falsche. Wenn man Pech hat, gefällt einem die idiotische Lampe, die man in dämmriger Hitze so schön fand, doch ein bißchen, die Vorhänge, die die ganze Wohnung kaputtmachen, findet man doch nicht ganz so schlecht, und die Regalbretter sind nur um ein Winziges zu lang. Die versucht man dann zurechtzupfuschen, mit einer Säge, die dazu nicht taugt. Nach langen Operationen schmeißt man die Bretter weg und kauft neue. Sachen wegschmeißen macht Spaß und unterstützt die Schaffung neuer Arbeitsplätze.

Schöner als zu arbeiten, ist es jedoch, stundenlang aus dem Fenster zu gucken. Alle Menschen hier machen das und beobachten einander mit Ferngläsern. Abends verlassen sie in Kleingruppen ihre Wohnungen, um Autos in Parklücken zu dirigieren. Dabei lachen sie gern und viel. Detlef Kuhlbrodt

Serie wird fortgesetzt

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