■ Normalzeit: Outsourcing!
„Untergehen – aber mit Würde“, riet Kursbuch-Autor Karl-Markus Michel 1985 den von Diskurs-Konjunkturen sich bedroht fühlenden Linken. In einer NGBK-Ausstellung japanischer Photographien in der Oranienstraße meinte ich neulich dahingehend fündig geworden zu sein: Es werden in der Ausstellung acht Porträts von Obdachlosen aus Tokio gezeigt, die wie bettelnde Zen-Mönche aussehen. Leider nur auf den ersten Blick. Aber immerhin!
Gerade die „Würde“ wird in der Wirtschaft derzeit zunehmend aufs Korn genommen: „Nachdem das Rationalisierungspotential (in den Betrieben und Institutionen) weitgehend ausgeschöpft ist, stehen jetzt die verhaltensbedingten Kündigungen an“, so sagte es der renommierte Berliner Arbeitsrechtler Henner Wolter, den ich um eine juristische Erklärung des derzeitigen Abmahnungs-Wahns gebeten hatte.
Als Beispiel dafür sei jener U-Bahnhofswärter erwähnt, der sich neulich geweigert hatte, den US-Dienstleistungs-Schwachsinn mitzumachen und „Zurück-Bleiben – Bitte!“ zu sagen: Er wurde entlassen: „Wir mußten ein Exempel statuieren“, rechtfertigte später ein BVG-Sprecher diese „Warnung“ für die anderen. Der Leiter der DGB-Rechtsabteilung in Thüringen, Werner Haußmann, hatte dazu bereits erklärt, im Osten sei die Zunahme der Abmahnungen geradezu epidemisch geworden: „Die Gründe werden regelrecht konstruiert!“
Auf der Betriebsebene war anfänglich neben der „Verschlankung“ die Umwandlung von Produktionsabschnitten und Abteilungen in „Profit-Center“ vorgenommen worden, in der zweiten Phase kam es zum „Outsourcing“, also zur völligen Ausgliederung von Betriebsteilen – quasi im Kollektiv.
Das individuelle „Outsourcing“, von den Betroffenen als „Mobbing“ begriffen, wird zunehmend von staatlicher Propaganda, sich selbständig zu machen, flankiert. Laut Henner Wolter ist die „Abmahnung“ Teil des allgemeinen Schuldrechts (im BGB): Eine vertraglich geregelte Leistung wird nicht ordentlich erfüllt, in der Abmahnung erfolgt eine Kritik der Mängel, die bis dann und dann zu beseitigen sind: „Es ist eine erste Warnung vor der Kündigung. Der Schuldner kriegt einen Schuß vor den Bug!“ (Wobei im Falle einer weiteren Abmahnung bzw. tatsächlichen Kündigung dieselben Mängelgründe vorliegen müssen, soll dieses Outsourcing vor dem Arbeitsgericht Bestand haben.) – „Die Abmahnung ist somit ein Personalführungsinstrument, um die Profite günstiger zu gestalten.“
Nun gibt es aber noch andere als Profitinteressen im alltäglichen Leben. Ganz andere verfolgt z.B. Christian, ein Arbeiter bei Siemens, der mit ehemals Obdachlosen zusammenwohnt, neuerdings noch mit einer aidskranken Frau, die in der „WG“ sterben will. Seine „Menschenliebe“ ist ebensowenig abstrakt wie gewöhnlich: So hatte ich mir z.B. vor anderthalb Jahren von ihm ein kleines Tonaufnahmegerät geliehen, das ihm selbst nicht gehörte, und das mir dann beim Umzug abhanden gekommen war. Es dauerte, bis ich mir aus einem polnischen Import-Exportladen ein neues besorgen konnte, inzwischen bekam ich brieflich von ihm so etwas wie eine „Abmahnung“.
Als ich das Gerät dann endlich hatte, trudelte noch ein Brief von ihm ein, den ich lange Zeit nicht öffnete, ich dachte, er würde bestimmt so etwas wie eine „Aufkündigung“ seiner Freundschaft beinhalten. Bevor ich mich schließlich mit dem Gerät zu ihm auf den Weg machte, öffnete ich doch den Brief – er enthielt eine kirchliche Postkarte mit einem Spruch von Cromphout: „Geist Gottes öffne unseren Mund für alle guten Worte“. Auf die Rückseite hatte Christian mit Hand geschrieben: „...Besuch mich mal, es gäbe manches zu erzählen. P.S: Wegen dem Diktiergerät habe ich dem Besitzer Hoffnung gemacht.“ – Das nenn ich positives Denken! Die unternehmerisch, d.h. an den Profit Denkenden, faseln dagegen immer nur davon. Grad wenn es darauf ankäme. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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