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■ NormalzeitDie Begriffsarbeit am Ökonomischen

„Schmierstoff-Spezialist Addinol steckt fest“ lautet eine neuere Wirtschaftsschlagzeile. Nach einem ähnlichen Assoziations- Dumpfprinzip werden in fast allen Wirtschaftsredaktionen die „Headlines“ zusammengedichtet: Hundertmal, ach was: dreihundertmal hieß es „Bei Narva gehen die Lichter aus!“ oder „Gehen bei Narva die Lichter aus?“ Ähnlich ging dem Batteriewerk ständig „der Saft aus“, wenn die Treuhandanstalt das Werk mal wieder auf die Abwicklungsliste gesetzt hatte, und bei Orwo in Wolfen gab es unumgänglich einen „Filmriß“.

Diese Öko-Poesie hat, ganz ähnlich übrigens wie der Ökologie-Kitsch (aus Ton oder Naturwolle), etwas entsetzlich Verharmlosendes. Nachdem neulich das Fernsehwerk Staßfurt Konkurs anmeldete und 300 von 400 Mitarbeitern entlassen mußte, vermeldete die Presse: „RFT geht auf Sendepause“. Und nachdem der Öko-Kühlschrank-Hersteller dkk Scharfenstein die Gesamtvollstreckung (das Ost-Pendant zum West-Konkurs) beantragen mußte, titelte man landauf, landunter: „Foron auf Grundeis“.

Auch bei der taz sitzt die Avantgarde der Poeten eher bei den „Aktuellen“ und in der „Wirtschaft“ als im Feuilleton. Bei Tagesspiegel und SFB- „Abendschau“ leistet man sich darüber hinaus noch den Luxus des Volkstümelnden: Der Biermulti Heineken „kommt an die Spree“, nach „Spree-Athen“ gar, und Hunde sind grundsätzlich „unsere vierbeinigen Lieblinge“. Von Entgleisungen wie „Telespargel“ und „Goldelse“ ganz zu schweigen. In der seriösen Wirtschaftsberichterstattung (von FAZ, Süddeutscher und Handelsblatt etwa) praktiziert man gern die Verdoppelung allzu magerer Unternehmens- und Branchenberichte („Das Gute ist so nah – Braunkohle“) in Form von Alliterationen („Konjunktur in Chemnitz kriecht“ oder „Maculan macht Miese“), beliebt sind auch Tautologien: „Auslandsnachfrage kommt Auftragsbüchern zugute“. Solche Nullsätze werden darüber hinaus gern mit klassischer Bildung aufpoliert, was meist danebengeht: „Im Absatz liegt des Pudels Kern“ (über RWE Ost). Weil es grundsätzlich immer zuwenig Fakten und zuviel Deutung gibt, wird für gewöhnlich zwischen Rilke und Schumpeter ausbalanciert, bei Tageszeitungen kann es auch ein nachträgliches Ausbügeln sein. Das macht dieses Genre on the long run so ermüdend.

Die taz versucht dem mit einer Kolumne „Auf du und du (mit der Kaliindustrie“) zu entkommen. Andere, indem sie die Staatsfinanzen auf die Dimension eines Kleinfamilien-„Haushalts“ herunter-erziehen. Dieser Formwille ist auch bei der Metaphernschöpfung aus dem Urdeutsch- Soliden am Handwerk: „Frankreich schmiedet Luftfahrtgiganten“ oder – beim Versuch, dem Arbeiter „mit aufgekrempeltem Ärmel“ verständlich zu bleiben: „Schneider drehte ein zu großes Rad“.

Bei dieser kollektiven Anstrengung leisten die Bild-Schlagzeilenhauer regelmäßig Pionierarbeit mit „Au weia!“ oder „Jetzt wird's hart“. Ihre Kommentatoren dreschen jedoch auch am liebsten leere Worte wie „Signalwirkung“, „Prüfstand“, „Schwachstellenanalyse“, „Zitterpartie“, „in ganzer Breite ausloten“. Wenn das nur lange genug geschieht, bekommen solche Idiotismen gelegentlich sogar die Weihe des Feuilletons: „Peanuts“, „Nieten in Nadelstreifen“, „Quantensprung“ und „Nullsummenspiel“ etwa sind mittlerweile selbst in Talkshows gang und gäbe. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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