■ Normalzeit: Messe der Misthaufenphilosophen
Seitdem ich den Leiter der Grünen Woche, Dipl. agrar Petersen, und seinen früheren Stellvertreter Ulli Frohnmeyer kenne, sehe ich die Veranstaltung mit ganz anderen Augen. Petersen schreibt nebenbei schöne Agrar- Krimi-Drehbücher, und Frohnmeyer arbeitete nebenbei noch an einer Langzeitfilmdokumentation über einen West-Neueinrichter in Vorpommern. Beide halfen im Januar 1990 drei von der Wende arg gebeutelten märkischen LPGen, indem sie ihnen auf die Schnelle einen preisgünstigen Standplatz anboten und ihnen kostenlos einen Stand bauen ließen. In diesem Jahr griff die Grüne-Woche-Leitung den Hanfhäusern hilfreich unter die Arme.
Schon lange hatte ich die Hoffnung, daß sich aus der Freßmesse ein interessantes Agrarforum entwickeln könnte. Mit der „Giftgrünen Woche“ war ja schon mal ein Anfang gemacht worden – wenn auch nur in extern anklagender Form. Petersen war und ist ein guter Integrator, und im Grunde ist heute keine Agrokritik mehr denkbar, die nicht auf der Grünen Woche Platz hätte. Zumal es ja seit der Wende sowieso die ostdeutsche Großlandwirtschaft zu integrieren galt, seit klar war, daß Kiechles und von Heeremanns Wunsch, die LPGen zu zerschlagen, nicht in Erfüllung ging.
Im Gegenteil: Gerade diese „Nachfolgeorganisationen“ wandten die im Westen bisher bloß aufgesetzte Agrarwissenschaft bis in die letzte Ackerfurche hinein an, was zunehmend selbstbewußteres Marketing sowie immer umfassendere Weiterverarbeitung einschließt. Merkwürdigerweise läßt sich diese Tendenz auch bei vielen ausländischen Messeteilnehmern beobachten (Korea, Thailand zum Beispiel – sie haben große Stände, sind aber relativ schlicht, selbst Marokko klotzt nicht mehr mit Obst-und-Gemüse-Orgien).
Am eindrucksvollsten ist heuer die Brandenburg-Halle, die konzeptionell dem Bauernmarkt der Agra GmbH Schmachtenhagen folgte und vielen kleinen Anbietern (von Honig, Strohblumen, Schinken zum Beispiel) dort einen Stand ermöglichte, dazu gehört auch Puls TV. Die Schmachtenhagener LPG ist wie viele andere nicht direkt, sondern nur über ihre Erzeuger- bzw. Vermarktungsorganisationen vertreten.
Selbst die 300-Mitarbeiter- LPG Lenzen mit eigener Filzfabrik, Naturlehrgarten und Pflanzgarten firmiert auf der Grünen Woche unter ihrem Ökowarenzeichen „Biogarten“.
Am schönsten aber ist die Kartoffelhalle, wo ein richtiger Kartoffelacker sowie eine funktionierende Chipsfließstrecke aufgebaut wurde. Sehr wissenschaftlich-technisch (mit viel nachwachsenden Rohstoffideen) präsentiert sich in diesem Jahr auch Niedersachsen, leider ohne den märkischen Charme. Man merkt: Nach jahrzehntelanger Politik, die Höfe sterben zu lassen, will man jetzt mit dem Rest partout den Sprung ins nächste Jahrtausend schaffen. Die West-Ökos vom BUND verkaufen auch 1997 noch ihre müde 1992er-Broschüre gegen die SED-Großlandwirtschaften – mit dem Tenor: Je kleiner und bäuerlich-dumpfer, desto öko!
Neu ist ein Stand der Treuhand-Tochter BVVG – mit den ehemals volkseigenen Gütern im Angebot – sowie ein Agrargerätevertrieb mit neuen „Belarus“- Traktoren aus Weißrußland. Aus Osteuropa hat nur Tschechien sich standmäßig richtig in Unkosten gestürzt. Dafür ist dort die Bierstimmung auch prächtig. Oftmals sind aber ja gerade die kleinen Stände die interessantesten: beispielsweise das Oranienburger ABM-Dienstleistungsprojekt des Brandenburger Landfrauenverbandes („Wir sind ein Zusammenschluß von Frauen im ländlichen Raum zur gemeinsamen Schaffung von Perspektiven in Wirtschaft und Gesellschaft“) mit dem sinnigen Namen „Biene“.
Enttäuschend waren die „öffentlichen Diskussionen“, hier muß man noch von dem ganzen journalistischen Talk-Mist abkommen. Apropos: Sehr empfehlenswert ist dazu die österreichische Bauernzeitung Mist. Die jüngste Scheißnovelle zum Landwirtschaftsanpassungsgesetz von Schäuble und Solms, mit der sie die LPGen endgültig liquidieren wollten, wurde in keiner einzigen Messepublikation thematisiert. Schade. Helmut Höge
wird fortgesetzt
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