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■ Normalzeit„Ton Ton“ – ein Lebensschwerpunkt

Statt einer „Restaurantkritik“: Das Neuköllner Café „Ton Ton“ in der Boddinstraße 10 Ecke Isarstraße – es gehört Ergün Sen aus Izmir. Der Vierzigjährige arbeitete von 1969 bis 1979 bei Daimler-Benz in Marienfelde. Er war politisch aktiv und kritisierte gelegentlich den Betriebsrat: „Die haben vor allem ihren Arbeitsplatz gesichert und es nicht ehrlich gemeint.“ Dann wurde er krank und mußte sich operieren lassen: „Gleich anschließend haben sie mich deswegen rausgeschmissen, aber der Hintergrund war politisch – der Betriebsrat wollte mich weghaben.“

Als Arbeitsloser und nur noch Gelegenheitsarbeiter hatte er „irgendwann das Gefühl, kaputtzugehen: Ich mußte etwas tun, und da habe ich mir überlegt, ein Café zu eröffnen, obwohl ich keinerlei Gastronomieerfahrung besaß.“ Ergün fuhr erst einmal nach Izmir und besorgte sich das dafür notwendige Geld von seiner Familie. Das Café in der Boddinstraße, das er dann am 1. Januar 1985 eröffnete, war zuvor eine traditionelle deutsch-proletarische Eckkneipe gewesen. Als erstes entfernte Ergün die Gardinen an den großen Fenstern, damit man rein- und rausschauen konnte: „Es ging und geht mir um das Miteinanderleben – offen und ehrlich.“ Dann stellte er einen Billardtisch auf und kaufte ganz viele Pflanzen. An die Decke hängte er einige Fahrräder: „Eine alternative Kneipe braucht alternative Symbole – ohne Worte!“

Der Name „Ton Ton“ bedeutet „viele Tonnen – das ist politisch gemeint, kurz gesagt: Mehrere tausend Kilo kann niemand bewegen. Es ist jetzt eine linke Kneipe – keine Drogen, keine Spielautomaten, keine Schlägereien, viele Frauen kommen alleine her und fühlen sich hier wohl. Obwohl ich also völlig ahnungslos angefangen habe, hatte ich Erfolg.“

Allerdings ging Ergün dabei die Ehe in die Brüche, sein Sohn wurde jedoch ihm zugesprochen. Wegen seiner Kneipe hat Ergün kein Privatleben mehr, er schläft sogar meistens dort. Und weil es gesamtwirtschaftlich und also auch in seiner kleinen Wirtschaft immer schlechter läuft, muß er alles alleine machen: „Ich habe im Moment große Sorgen und kaum noch Zeit für die Außenwelt. Obwohl ein sehr aktiver Mensch, habe ich mich trotz meiner politischen Ideologie immer mehr abgekapselt. Und dann muß ich mich auch selber noch zunehmend einschränken: Meine Klamotten kaufe ich nur noch beim Trödler, und essen tu ich nur Kleinigkeiten – Porree mir Reis, Porree mit dies und Porree mit das. Aber ich versuche, das hier weiterzumachen, damit diese Kneipe hier im Kiez was bedeutet. Zwar unterstützen mich Freunde, aber bei einer persönlich aufgebauten Kneipe ist mit einer anderen Person hinter der Theke gleich eine ganz andere Atmosphäre, also darf ich nicht krank werden. Davor habe ich richtig Angst. Meine Rentenversicherung kann ich schon lange nicht mehr zahlen. Die Leute haben ja alle kein Geld mehr und auch keinen Mut. Wie lange kann das noch so weitergehen – bis es zum Knall kommt? 5.000 Mark muß ich für die Kneipe im Monat zahlen, ich habe schon versucht, mit meinem Vermieter zu reden. Und dann habe ich mir überlegt: Was kann ich noch wo einsparen? Ich habe die 75-Watt-Birnen bereits alle auf 15 Watt reduziert. Und die Getränke hole ich selber ab, um die Anlieferkosten zu sparen. Die Espresso-Maschine ist schon über ein Jahr kaputt, ein Ersatzteil fehlt, ich kann sie jedoch nicht reparieren lassen.“

Trotz 16stündiger Arbeit kommt Ergün Sen also zunehmend schlechter über die Runden. Wie kann man ihn unterstützen – außer gelegentlich dort vorbeizuschauen und eine Runde zu schmeißen? Helmut Höge

wird fortgesetzt

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