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■ NormalzeitDie gelbe Gefahr

„Ich sage nur: Kina, Kina, Kina!“ warnte Bundeskanzler Kiesinger in den frühen Siebzigern. Aber jetzt scheint alles zu spät: Nicht nur wird der auf kerngesunde Selbsterhaltung bedachte Europa-Alarmismus der „Moderne“-Ausstellungsmacher – Erstewahl-Berliner Landowsky und Geburts-Athener Joachimides – schon vorab im Tagesspiegel wegen der Kosten, ein paar Millionen Mark (nicht mal Millarden!), mürbe gemacht. Dann bläst auch noch die seit 1989 völlig vaterlandslos gewordene Galerieszene Westberlins zum Großangriff. Den Anfang machte der DAAD-Stipendiat Richard Vasko: Er eröffnete einfach ein „Museum moderner chinesischer Kunst“ in einer leeren deutsch-jüdischen Textilunternehmervilla in Lodz: Zen oder die Kunst, auf Godot zu warten! Ein Teil der Künstler wurde daraufhin in die „China-Avantgarde“-Ausstellung ins Haus der Kulturen der Welt eingeladen. Die Multikulti- Kongreßhalle konterte sodann Christos Reichstagsverhüllung mit einem Internet-Café des Ostwind-Restaurantbetreibers Fang Yü und will jetzt gar das Joachimidessche Euro-Projekt mit einer „Anderen Moderne“ aushebeln, wozu erneut jede Menge Asiaten eingeladen werden. Parallel dazu verschob man gerade die Gelder des schwäbischen „Tacheles“ an eine „Taiwan“-Schau. Nordindische Restaurants liefern sich – in der Oranienstraße zum Beispiel – erbitterte Preiskämpfe. Südbengalische Asylbewerber feiern rauschende Hochzeitsfeste im SO 36. Wegen der vielen Thailänderinnen nennt man den Norden Berlins bereits „Yellow Wedding“. Und auf der Charlottenburger Berlinale werden jedes Jahr mehr Filme von Zentralasiaten gezeigt. Der letzte Innensenator soll ihnen sogar privat bei der Niederlassung hier behilflich gewesen sein. Nun eröffnete auch noch Alexander Ochs zusammen mit einem Kaufmann aus Köln im Mitte-Kunstzentrum Sophienstraße 18 die Galerie „Asian Art Now! – mit Bildern von Ding Yi, Ji Wen Yu, Li Hongliun und Li Jiwei. Die Namen sagen schon alles! Hinzugefügt sei, daß einer der vier am liebsten und ausgerechnet abendländische Beutekunst malerisch verhohnepipelt! Überdies wurde dieser „No Chinese Art“-Topevent von der stadtbekannten Kunstkritikerin Angelika Stepken aufs einfühlsamste eingeführt. Sie war natürlich just aus Schanghai zurückgekommen, wo im übrigen auch die Berlin- Regisseurin Ulrike Ottinger gerade einen Film drehte: „Exil Schanghai“. – Soweit kommt es noch!

Selbst Leute, die der Kunst so fernstehen wie der Kaufmann Prillwitz, sind vor diesem Mitte- Trend aus dem Reich des Mega nicht mehr gefeit: Er hatte 1991 den sozialistischen Großhandelsbetrieb „Möbel-Max“ als Geschäftsführer privatisiert und mußte 1996 Gesamtvollstreckung beantragen. Zwar konnte ein Betriebsteil saniert werden, aber Prillwitz wurde arbeitslos: „Ich gehe wahrscheinlich nach Schanghai und versuche da ins Maklergeschäft einzusteigen“, verriet er mir unlängst.

Ende der sechziger Jahre nannte die Berliner Presse die hier arbeitenden koreanischen Krankenschwestern immer wieder gerne „Mandeläugige Engel am Krankenbett“. In General Schönbohms Berlin 2000 wird diese Bezeichnung nun auf grausame Weise wahr. Helmut Höge

wird fortgesetzt

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