■ Normalzeit: Die Wiederkehr des Verdrängten
Der Automobil- und Rüstungskonzern Daimler-Benz bzw. seine Tochter debis zeigte unlängst in einer kleinen Ausstellung, was die Ausschachtarbeiten am Potsdamer Platz bisher so zutage förderten: einen Stahlhelm mit Schädelstücken, Munition, Hakenkreuze und sehr viel zerschlagenes Porzellan.
Auf dem ULAP-Gelände am Lehrter Bahnhof, wo seit der Revolution 1918 – beginnend mit den Spartakisten – alle möglichen „politischen Verbrecher“ verbuddelt wurden, fand man Ende Mai bei Bauarbeiten erneut 30 Skelette. Wobei vermutet wird, daß sich die Überreste des noch im April 1945 von der SS getöteten Bruders des Theologen Dietrich Bonhoeffer darunter befinden. 1972 hatte man bei Bauarbeiten auf dem ULAP-Gelände den – von Russen einst verscharrten – Hitler-Sekretär Martin Bormann gefunden. Sein Schädel wird gerade noch einmal genanalytisch untersucht: Es mehrten sich die Gerüchte, daß Bormann im Mai 1945 nicht Selbstmord verübte, sondern untertauchte. Den neuerlichen „Riesen-Fund“ (Berliner Zeitung) bezeichnete der Chef des Landesinstituts für Gerichtsmedizin sogleich als „nicht besonders spektakulär“: Auf den Baustellen würden jeden Tag Knochenteile gefunden. Solch Runterspielen hat System – Stadtbilderklärer können ein Lied davon singen: „Wenn sich eine Bundeswehr-Gruppe bei uns anmeldet, lautet ihr Wunsch jedesmal: ,Nichts Nationalsozialistisches!‘“
Die Folge dieses Eiertanzes ist: Das ganze Zeugs kommt stets überraschend wieder hoch! Für gewisse Recycling-Manöver der „dunkelsten Stunden der deutschen Vergangenheit“ (von Weizsäcker) lohnt – zum besseren Verständnis – die Einnahme einer Juxtaposition: Für uns war das am 1. Juni „rein zufällig“ das polnische Ostseebad Mistroj, Berlins ehemalige „Badewanne“. Dort wird man zwar heuer als Deutscher gelegentlich verbal angerempelt: „Hitler kaputt!“ und „Warum muß Opel seine neue Fabrik ausgerechnet in Gleiwitz bauen?“, aber dafür scheint man die Kabel-TV-Programme in den dortigen Strandhotels besser zu verstehen als in der Heimat. Den ganzen Abend ging es darin erstens um den „2. Juni 1967“ – den Schahbesuch in der Deutschen Oper, wo dieser sich die „Zauberflöte“ anschaute und wo der heute als Rentner in Frohnau lebende Polizist Kurras dann den Studenten Benno Ohnesorg erschoß. Das zweite Topthema des Tages war der Kontrabassist der Deutschen Oper, Reinke, ebenfalls in Frohnau wohnhaft, der gerade mit der „Zauberflöte“ in Israel gastierte und dort eine Barrechnung mit „Adolf Hitler“ unterschrieb. Der wie Harald Juhnke zu den „Kulturbotschaftern Berlins“ zählende Musiker wurde sofort unehrenhaft entlassen und nach Hause abgeschoben. Ein polnischer Musiker erklärte uns: „Ohne Kontrabassist fehlt dem Orchester die Tiefe!“ Auch er fand im übrigen, daß Reinkes Unterschrift – just zu diesem Zeitpunkt – eine durchaus reife Leistung des kollektiven deutschen Unbewußten gewesen sei. Sie war jedenfalls erhellender als alles, was sonst so zum „2.- Juni“-Gedenken auf die Beine gestellt wurde, wie man so schön sagt. Helmut Höge
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