■ Normalzeit: Oberschweineöde
Diese Verballhornung des Köpenicker Stadtteils Oberschöneweide hatte es dem Autor Karsten Otte besonders angetan in der B.Z.-Serie „Mein Kiez-Tagebuch“. Sein Text ist ähnlich schweinös wie die Kreuzberg-Berichte der FAZ und der Neukölln- Report des Spiegel, den das Montagsmagazin nun gar mit einem Wedding-Artikel toppte. In Oberschöneweide debattierte jüngst der dortige Unternehmerstammtisch den B.Z.-Artikel über ihren „Problembezirk“: „Alles erstunken und erlogen!“ so das Resümee.
Im einzelnen. „Die gesamte Tendenz des Autors lautet: ,Dort lebt nur Abschaum‘ – das ist menschenverachtend! So weit, daß unter einem Foto von einem Krüppel, das noch nicht einmal im Kiez aufgenommen wurde, steht: ,Aufbruch-Stimmung in Oberschöneweide‘.“ Über das Stammpublikum des neben dem Wilhelminenhofstraßen-Puff gelegenen Nachtcafés „Hollywood“ schreibt der Autor: „Die Gäste sehen (dort) zwar auch nicht besser aus als die der ,Stumpfen Ecke‘, doch der Barkeeper grinst verheißungsvoll seine Kunden an...“ Im „Hollywood“ gibt es überhaupt keinen „Barkeeper“, dort arbeiten ausschließlich „Blondinen“.
Über die pleitegegangene Kneipe „Sportlerklause“ weiß der Westjournalist: Dort „verkehrten früher die Vorarbeiter!“ Solche gab es in der DDR überhaupt nicht, und sowieso war die „Sportlerklause“ eher eine Schläger- und Kleinkriminellen-Kneipe. Diese „Knastis“ sollen dagegen laut B.Z. im „sagenumwobenen Haus der tausend Biere“ gezecht haben. Eine Kneipe dieses Namens hat es im biersortenarmen Osten Berlins nie gegeben. Die Kneipe selbst gibt es dagegen noch immer – sie war nie „sagenumwoben“: Zu DDR- Zeiten hieß sie „Zur Wuhlheide“, nach der Wende „Haus der hundert Biere“ und jetzt „Kolbico“.
Die wenigen noch lebenden „Werktätigen“ Oberschöneweides – angeblich Nachwende-„Nachbarn“ des Autors – gingen stets in die „Stumpfe Ecke“, „um dort die Reste ihres Menschseins mit Wodka endgültig zu liquidieren“. Hierzu merkte der Oberschöneweider Unternehmerstammtisch an: „Dort hat noch niemand Wodka getrunken, den gibt es in der Stumpfen Ecke schon seit 1961 nicht mehr!“
Als die Queen das von den Engländern übernommene Kabelwerk besuchte, standen laut B.Z. extra „die Bewohner der angrenzenden Westbezirke“ Spalier in der Wilhelminenhofstraße, „um fleißig mit der britischen Fahne zu winken“ – damit die Queen auf keine Osteinheimischen stoße: „finstere Gestalten“ allesamt! Wahr ist zwar, daß die britische Kabelfirma, die das Werk schändlicherweise nur übernahm, um Fördergelder zu kassieren und dann die Produktion einzustellen, sich nicht entblödete, einige Jubel-Westler an den Straßenrand zu stellen. Aber weder sie noch die Anwohner bekamen etwas von der Queen mit, da diese auf der Spree mit einem Schiff ans Werk fuhr.
Auch daß der Autor meint, es gäbe in Oberschöneweide Tote, die so lange in ihren Wohnungen lägen, daß die Maden sie bereits verlassen und in die Nachbarwohnungen zu noch lebenden Oberschweineödern gezogen seien, hält der am Unternehmerstammtisch anwesende Ex-MdB H.P. Hartmann für mindestens so übertrieben, wie daß der „ehemalige Arbeiterbezirk eine ,postgrufte Atmosphäre‘“ ausstrahle, die „nach Feierabend einem ,atomar verseuchten Gebiet‘“ gleiche.
Besonders erbost hat den im Problembezirk aufgewachsenen Hartmann der Satz: „Landete der gewöhnliche Oberschöneweider doch mal im Ehebett statt in der Gosse, ging es der Frau, dem Kind und der Wohnungseinrichtung an den Kragen.“ Er will nun der B.Z. an den Kragen. Helmut Höge
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