■ Normalzeit: Post-Puschkinaden
Die Leute lesen nicht mehr, sondern sitzen im Café, ein Handy am Ohr – und telefonieren: mit Enzensberger, Walser, Handke, Jelinek und wie sie alle heißen. Diese Beobachtung machte ich auf den Hackeschen Höfen – im „Oxymoron“. Und das war eigentlich selbst ein (Medien-)Oxymoron. Ich hatte mich dort mit einem „Biker“ vom „Messenger Service“ verabredet, der mir dort das neueste Merve-Machwerk servieren sollte. Und das dann auch tat. Das schwarzweiße Büchlein war altmodisch in Geschenkpapier gewickelt und hieß „Schlachtfelder“ – sein Autor: „Qrt“. Erst nachdem ich den Begleitbrief gelesen hatte, in dem mir das Nachwort besonders nahegelegt wurde, weil es „sehr gelungen“ sei, dämmerte mir, wer „Qrt“ war: „Kurt“, genauer gesagt: „Fascho-Kurt“. Im Nachwort „Leiner oder Leimer“ genannt. Bei ihm hatte ich seinerzeit ein Super-Splatter-Seminar in der Schweine-Mensa der Feigen-FU gehört. Danach traf ich ihn immer mal wieder im „Geistes- und Nachtleben Berlins“, wie seine Freunde, die Nachwortautoren, schreiben: „Schädel und Silhouette im Nahkampfschnitt, Combat-Boots, BuWe-Overall in Nato-Oliv, im Winter eine Lederjacke mit Frettchenbesatz, im Sommer ein geripptes Spaghettiträgerunterhemd zur kurzen Stars-'n'-Stripes-Turnhose, und unvergeßbar: der notorische schwarze Aktenkoffer. Anfang der 80er war Qrt, damals noch ohne Q, „Kantianer“. Später rüstete er „vehement auf Baudrillard, Foucault, Lacan und Virilio um ... Niemals aber gab er die Systematik auf, die sein Markenzeichen wurde.“ Die FU-Filosofie-Profs lernten laut eigener Einschätzung viel von ihm, ja, münzten ihn sogar um. Zuletzt war er journalistisch für das Zweite Hand Magazin 030 unterwegs. Aber am liebsten dealte er mit den demiritorischen Gütern: Drogen, Prostitution, Glücksspiel etc. Dabei erinnerte er mich an Puschkin, der für ihn natürlich als „Meisterdenker“ passé war. Der geniale Halbabessinier aus St. Petersburg, mit dem der russische Realismus begann, war auch wesentlich demiritorisch beschäftigt – zum Schreiben kam er eigentlich nur, wenn er mal wieder geschlechtskrank oder pleite war. Zum Schluß hatte er sich aber von diesem „Untergrund“ derart – familial, finanziell und volksnah – abgeschnitten, daß er im Duell den Tod suchte, und fand. Sein Gegner war ausgerechnet ein Franzose! Fascho-Qrt starb dagegen an einer Überdosis Heroin. Vorher hatte er sich noch mit einer Afrikanerin scheinverheiratet, was ihm einen perversen Porsche einbrachte (den nach seinem Tod einer der Herausgeber des Merve-Nachlaß-Bändchens weiterfuhr). Dafür dominierten auf seiner Beerdigung afrikanische Trauerrituale. Seine Mutter und seine Tante in Konstanz spendeten überdies eine Reihe teurer Gemälde, mit denen eine „Kurt-Leimer-Gedächtnis-Stiftung“ für transurbane Medienhypes in postheroischen Managementzeiten finanziell ausgestattet wurde, deren Posthum-Produkte nun ein pockennarbiger Pankower Literatur- Priester puschkinmäßig zu den Periodika-Päpsten apportieren soll. Wobei das Kuba von Kurt selbstverständlich das Mekka aller Meinungsmacher, nämlich die Puff-Hochburg Phadong (in Bangkok) war. Aber, schreiben die Herausgeber, „es gab (auch) Jahre, da ging Qrt jeden Tag ins Kino“. Und dazu wurde er noch Miteigentümer der Schöneberger Künstler/Punk-Kneipe „Ex & Pop“, sowie Sänger & Frontman einer Frauenband, die unsere „Ohren malträtierte ... Es half nichts, Sex wurde von Porn abgelöst ... Pogomassen verwandelten sich in Rave-Serials“... Swinger in Springer (-Journalisten) usw. Wie Puschkin suchte Qrt vielleicht den (goldenen) Schuß, zunehmend „beklagte er die fortschreitende Entleerung und Langeweile seines Lebens“ ... So stirbt das gute alte Berlin weg – vorfristig. Helmut Höge
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen