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Normalität?

■ Burkhard Spinnen liest heute abend aus seinem Roman „Langer Samstag“

Ist es möglich, die Banalität des Alltags einzufangen und ihr, nur indem man sie minutiös beschreibt, mehr als einen Funken Interesse abzuringen? Errettet man die Wirklichkeit durch möglichst zurückhaltende Ausmalung? Vielleicht sind diese Fragen zu schwer für Burkhard Spinnens Roman Langer Samstag (Schöffling & Co.), aber sie drängen sich auf. Denn legte man sie nicht als Maßstab an, man hätte schlicht einem ziemlich langweiliges Buch vor sich.

Ulrich Lofart, späte dreißig und alleinstehend, bemüht sich um eine Frau, hat Ärger im Büro und ist ansonsten ein ziemlich genauer Beobachter. Die kleinen Dinge sind es, die ihm wichtig sind, Arrangements im Supermarkt, Wohnungseinrichtungen, Häuserfassaden. Und sie werden geschildert, beinahe gnadenlos. Ein anderes sind die Zuspitzungen der Realität in der Phantasie des Helden, entweder rückwärts oder vorwärts: sei es die präzise Rekonstruktion des Produktionsablaufs eines Souvenirs, sei es das Ausmalen des eigenen Verhaltens bei einem Banküberfall.

Auf ein Ziel läuft das alles kaum hinaus. Lofarts Affäre beginnt und zieht sich plätschernd dahin, so als ob Spinnen geradezu Angst hätte, zu fesselnd zu erzählen. Vor Sex drückt er sich ganz. Eigentlich kein Grund für einen Vorwurf, aber wenn man mit folgenden Kapitelenden zurückgelassen wird, nimmt sich das bei der sonstigen Detailfreude doch ein wenig verklemmt aus: „,Du weißt, wie man damit ÄKondomÜ umgeht?' Er habe das noch nie benutzt, Dorothee nickte. Einmal sei es immer das erstemal.“

Bisweilen bemerkt Lofart „ein Art Ahnung von der Menge aller Einzelheiten, aus denen die Welt bestand, und von der Zahl der Verbindungen, die sie eingehen konnten“. Ein Erzählerbekenntnis, das sich erhärtet, wenn am Ende Schrauben wie Menschen willenlos über verschiedenste Untergründe purzeln. Spinnen scheut alles Konkrete, will aber seine Geschichte im deutschen Alltag verankert wissen: Wiedervereinigung, der Fall Krabbe, Wetten daß? u.a. garantieren dafür.

Aber nicht alle Episoden versanden in der programmatischen Beliebigkeit. Spinnen hat ein paar Perlen in den Text geworfen, die das Interesse immer wieder aufflammen lassen (der Klebstoffverkäufer auf Seite 73 ff!). Dann bekommt man Gedanken, Beobachtungen – meistens absurd – geschenkt, von denen man nie geglaubt hätte, ein anderer könne sie haben oder machen. Ihnen kann die völlig undramatische Sprache nichts anhaben. Für einen Moment wird Alltägliches zum Ereignis, dann wird es wieder banal. Aber das hat Spinnen ja so gewollt. Sven Sonne

Heute, 19.30 Uhr, H.-Heine-Buchhandlung, Schlüterstr. 1

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