■ Nordirland: Sondergesetze sollen künftig die Bombenleger stoppen: Kapitulation der Demokratie
Eine Nation hat Schaum vorm Mund. Der Bombenanschlag im nordirischen Omagh, bei dem vor zehn Tagen 28 Menschen starben, war ein gnadenloser Akt des Terrorismus, die Täter gehören hinter Schloß und Riegel. Aber muß man die Grüne Insel dafür in einen Polizeistaat verwandeln?
Selten waren sich Politiker, Medien und Bevölkerung so einig: Drakonische Gesetze müssen her, um die Bombenleger aus dem Verkehr zu ziehen. Die irische Regierung hat vorgelegt: Das Zeugnisverweigerungsrecht wird abgeschafft, Verdächtige können sieben Tage ohne Anklage festgehalten werden, und für die Verurteilung wegen Mitgliedschaft in einer verbotenen Organisation reicht künftig die Aussage eines höheren Polizeibeamten. Die Gesetze werden kommende Woche im Eilverfahren vom Parlament abgesegnet. Der britische Premierminister Tony Blair, der heute aus diesem Anlaß nach Nordirland reist, hat versprochen, in den Bereichen nachzuziehen, in denen britisches Recht noch Lücken aufweist. Die Option auf Internierung ohne Anklage wollen sich beide Regierungen offenhalten – als ob eine Verurteilung aufgrund der Aussage eines Polizisten nicht einer Internierung gleichkäme.
Der Applaus für diese Maßnahmen ist nahezu einhellig, vor allem in den Medien. Dabei ist es keineswegs so, daß es bislang keine rechtliche Handhabe gegen die Attentäter gäbe. Es ist in beiden Teilen Irlands und in Großbritannien gesetzlich verboten, Bomben zu legen und Menschen umzubringen. Die neuen Gesetze und der Abbau bürgerlicher Freiheiten und demokratischer Grundrechte scheinen ein Eingeständnis zu sein, daß man diesen Leuten mit den normalen Mitteln eines demokratischen Staates nicht beikommen kann.
Ziel des Friedensprozesses aber, so steht es im britisch-irischen Abkommen vom Karfreitag, ist die Demokratisierung Nordirlands. Mit den Zwangsgesetzen hat man einen Schritt in die entgegengesetzte Richtung getan. In dem Abkommen ist auch die Rede von einer Reform der nordirischen Polizei. Die ist dringend notwendig: Die zu 93 Prozent protestantische „Royal Ulster Constabulary“ hat in den vergangenen 30 Jahren im nordirischen Konflikt bewiesen, daß sie Teil des Problems ist und nicht Teil der Lösung sein kann. Sie hat wiederholt mit loyalistischen Todesschwadronen zusammengearbeitet, war an Morden zumindest indirekt durch die Weitergabe von Akten und Waffen beteiligt.
Und nun soll die Aussage eines einzigen Beamten dieser bis hoch in die Führungsspitze maroden Organisation ausreichen, um jemanden hinter Gitter zu bringen? Die bei den Belfaster Verhandlungen so oft beschworenen „vertrauensbildenden Maßnahmen“ können dies nicht sein. Beide Regierungen müßten eigentlich wissen, wohin Panikgesetze führen. Nach der IRA-Bombenkampagne, die in den siebziger Jahren in England zahlreiche Opfer gekostet hatte, jagte die britische Regierung ihre Sondergesetze in Windeseile durch das Unterhaus. Die irische Regierung tat 1976 das gleiche, nachdem der britische Botschafter in Dublin ermordet worden war. Die Zahl der Anschläge ging danach nicht im geringsten zurück. Dafür schnellten die Fehlurteile in beiden Ländern dramatisch in die Höhe. Schuld daran war die Hysterie, die nach den furchtbaren Anschlägen bei der Bevölkerung zwar verständlich, bei Politikern und Gerichten aber eher bedenklich war. Angesichts der Pogromstimmung mußten Verurteilungen her, egal wie.
Wer garantiert denn, daß die Sondergesetze nur gegen die Bombenleger von Omagh angewendet werden? Keine Regierung wird sich die Gelegenheit entgehen lassen, sie auch gegen andere Gruppen anzuwenden. In einem Fall wie der umstrittenen britischen Kopfsteuer könnte man die Boykottkampagne flugs zur illegalen Organisation erklären, schon säßen die führenden Leute ein. Die nun vorgesehenen Sondergesetze sind nicht weniger als ein Angriff auf die Meinungsfreiheit. Es ist daher besonders erbärmlich, daß sich ausgerechnet die Medien mit ihrer Begeisterung für die Sondergesetze zu Vorreitern beim Abbau demokratischer Grundrechte machen. Ralf Sotscheck
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