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Non Stop Späßchen

Jede Jugendbewegung muss schon aus Gründen der Abgrenzung den Älteren gegenüber so tun, als erfände sie die Welt, mindestens aber deren Oberflächen neu. So verhält sich es sich mit der Love Parade, aber auch mit der so genannten Spaßgesellschaft: Schlagworte für eine Weltanschauung, die nur Vergnügen kennt und sich bei der Unterhaltung kein schlechtes Gewissen machen lässt.

Dabei haben sich nur die besseren Kreise, vor allem die der bürgerlichen Klasse, in protestantischen, arbeitsethisch gewirkten Landschaften, stets schwer getan, die Welt als Spaßvorlage zu nehmen. Den Karneval beispielsweise als eine klassische Form der Liebesparade gibt es seit mehreren Jahrhunderten. Auch das, was heutzutage unter Spaßgesellschaft verstanden wird, hat schon andere Helden als Sven Väth und Marusha hervorgebracht.

Der prominenteste und erfolgreichste von ihnen heißt: James Last. Jahrgang 1929, Sohn eines Gasablesers und einer Hausfrau aus Bremen, studierte Last Musik und spielte in diversen Jazzbands mit, ehe er 1964, der Legende nach am zehnten Hochzeitstag mit seiner Frau Waltraud, die Inspiration für seine Karriere als Bandleader und Trackkonstrukteur erhielt.

Während der Feier spielte eine von Last zusammengestellte Band die Hits der Zeit nach. Ein Tonbandgerät nahm die Geräusche der Party auf: also auch das Mitsingen, Mitbrummen, Mitklatschen und Mitlachen der Feiergesellschaft. Im Studio wurde diese Tonspur vinyltauglich gemixt. Der Titel: Non Stop Dancing. Unter dieser Überschrift verkaufte Last seine erste Partyschallplatte.

Der Rest ist Legende. In Skandinavien, Großbritannien, Deutschland, Australien und den Beneluxstaaten wurden Last und seine Musiker zum Inbegriff moderner Fröhlichkeit. Hits hat Last nie geschrieben – sondern immer nur den von anderen komponierten Stoff in das Korsett eines durch keine Leerstelle unterbrochenen Sounds gezwungen. Dabei war immer egal, wer die Vorlagen gab: Schostakowitsch, Lennon, Bach oder Bacharach. Alles hörte sich irgendwie flott und frisch an. Nicht zu aggressiv und nicht zu lahm. Lasts Arrangements machten aus beliebigen Liedern einen wiedererkennbaren Partysoundtrack. Wer nicht tanzen wollte, wurde nicht sonderlich gestört, wer sich auf dem Parkett bewegen mochte, konnte dies stundenlang tun, ohne seine letzten körperlichen Reserven mobilisieren zu müssen.

Last ist insofern ein ästhetischer Großvater der Väths des Technozeitalters. Auch in öffentlicher Hinsicht. Lassen die Veranstalter der Love Parade ihre Gäste am Tiergarten tanzen, schaffte es Last, große, hässliche, unbestuhlte Hallen zu Love-Houses seiner Zeit zu machen. Mit der HipHop-Band Fettes Brot hat Last vor kurzem einige Tracks eingespielt: Altersgrillen eines Mannes, der 2.401 Tonträger produziert und dafür 208 Goldene und 14 Platinschallplatten erhalten hat. Er lebt heute in Florida – im, nach Mallorca, zweitliebsten Dorado jener Deutschen, die – Genuss ohne Reue – dem Hedonismus frönen. JAF

Literatur: Kaspar Maase: „Grenzenloses Vergnügen. Der Aufstieg der Masenkultur 1850 – 1970“. FischerTaschenbuch, Frankfurt am Main 1997, 307 Seiten, 18,90 MarkUdo Göttlich/Rainer Winter (Hrsg.): „Politik des Vergnügens. Zur Diskussion der Populärkultur in den Cultural Studies“. Herbert von Halem Verlag, Köln 2000, 342 Seiten, 54 Mark

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