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Non-EU-Bürger*innen in der CoronakrisePrekariat in Zeiten von Corona

Viele türkeistämmige Migrant*innen trifft die Pandemie finanziell besonders hart. Ob die staatlichen Hilfen bei ihnen greifen, ist unklar.

Die bürokratischen Hürden sind für türkeistämmige Selbstständige aufgrund der Sprachbarriere hoch Foto: Özlem Şen

“Hastalıktan korunmak için sık sık ellerinizi yıkayın“ – Waschen Sie sich regelmäßig die Hände, um sich vor Erkrankung zu schützen. Seit einigen Wochen verbreiten die Bundesregierung und verschiedene Medien Informationen zum Coronavirus in türkischer Sprache, um die türkeistämmigen Deutschen aufzuklären. Das mag gut gemeint sein, aber die meisten der in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen dürften bereits mehr über das Virus wissen, als diese Einführungsseminare bieten.

Was viele von ihnen hingegen nicht wissen, ist, wie sie mit den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus umgehen sollen. Diese sind natürlich für die äußerst heterogene Gruppe türkischsprachiger Menschen in Berlin so verschieden wie die je eigenen Hintergründe und Lebensumstände. Eines nur verspüren alle Menschen, mit denen ich (mit gebührendem Sicherheitsabstand) gesprochen habe: Ungewissheit und Zweifel. Nur den Wenigsten ist klar, ob und wie sie von den Hilfspaketen profitieren können, an denen die Bundesregierung aktuell schnürt.

Kadir Yılmaz* arbeitet undokumentiert in einem Spätkauf an einer belebten Ecke Kreuzbergs. Mehr als 1.000 Personen kamen noch vor einer Woche täglich zu ihm, heute kommen immer noch zahlreiche Kund*innen. Er hat keinen anderen Schutz vor der Epidemie als die Flasche Kölnisch Wasser, die im Laden steht. In der Türkei wurde er zum Ingenieur ausgebildet. Laut Visum darf er nur eine Tätigkeit in seinem gelernten Beruf ausüben. Die finde er allerdings nicht, da sein Deutsch noch nicht ausreiche. Also arbeitet er informell, vier Tage die Woche je sieben Stunden im Späti. Sein Chef stellt ihm nicht mehr zur Verfügung als die parfümierte Alkohollösung.

Da er keine Steuern zahlt, kommen die neu aufgelegten Hilfsfonds für ihn nicht infrage. Auch das Jobcenter ist keine Alternative. Seine Krankenversicherung zahlt er selbst, und sobald er nicht im Spätkauf erscheint, hat er keinerlei Einnahmen mehr. Er sagt, er habe nicht den Luxus, wegen einer Epidemie nicht zur Arbeit zu gehen. “Die Regierung fordert uns dazu auf, den Kontakt zu anderen Menschen einzuschränken, aber die unsicheren Verhältnisse zwingen mich dazu, jetzt noch mehr mit Menschen in Berührung zu kommen als sonst.“ Für viele Menschen sind die Spätis eine der wenigen noch verbliebenden Anlaufstellen.

Mehr Angst vor der Arbeitslosigkeit als vor dem Virus

Der Student Sinan Demir*, der seit zwei Jahren in Berlin lebt, darf mit seinem Studierendenvisum kaum arbeiten. Aufgrund des erheblichen Kursverlusts der türkischen Lira gegenüber dem Euro kann auch seine Familie ihn finanziell nicht mehr unterstützen. Als Musiker hat er sich in U-Bahn-Stationen, Cafés und Restaurants etwas dazuverdient. Auch er kann seinen Verdienst nicht anzeigen. Als Diabetiker gehört er zur Risikogruppe und hat bereits vor einem Monat aufgehört, draußen Musik zu machen. Er hat kaum noch Geld.

“Ich kenne viele Studierende, die in der gleichen Situation sind wie ich“, sagt Demir. Sie alle bleiben nicht nur deshalb derzeit zuhause, weil es das epidemiologische Gebot der Stunde ist, sondern auch aufgrund der hohen finanziellen Risiken, die krank zu werden für sie bedeuten. “Wir haben weder Ansprüche auf Nothilfe in Deutschland noch können wir in die Türkei zurückgehen, deshalb sitzen wir zu Hause fest.“

Die nötige Sicherheit bietet jedoch auch eine unbeschränkte Arbeitserlaubnis nicht. Nihan Yüksel* verbrachte als politisch Verfolgte die vergangenen zwei Jahre in einer deutschen Sammelunterkunft. Erst vor wenigen Wochen konnte sie in eine Berliner WG ziehen. Noch lasten die psychischen Folgen der schwierigen Bedingungen in der Unterkunft auf ihr. Sie hat zwar eine Arbeitserlaubnis, muss aber derzeit mit den 430 Euro auskommen, die sie neben ihrer Miete vom Staat bekommt. Denn fast alle Arbeitsstellen, die für sie in Frage kommen, sind aufgrund der Epidemie nicht zugänglich.

Auch für Doğukan Karakuş, der als Putzkraft in einer Schule arbeitet, ist die Arbeitserlaubnis keine Rettung. Zwar wird er weiterhin von der Gebäudereinigung bezahlt, die Vertragsnehmer der derzeit geschlossenen Schule ist. Die Firma hat mit der Schule vereinbart, dass die Räumlichkeiten weiter geputzt werden, auch wenn kein Unterricht stattfindet.

Also muss Karakuş täglich die öffentlichen Verkehrsmittel nutzen und eng mit seinen Kolleg*innen zusammenarbeiten – Raum für Sicherheitsabstand bleibt nicht. Seine Bitte um Schutzmaterialien sei erfolglos geblieben. Karakuş kann es sich nicht leisten, seinen Job zu verlieren. “Ich habe mehr Angst vor der Arbeitslosigkeit als vor dem Virus“, sagt er. Es bleibe ihm nichts anderes übrig als zu tun, was ihm gesagt werde, und das heißt in seinem Fall: weiterarbeiten.

Auch ihre Krankenkasse konnte ihr nicht weiterhelfen

Für viele Menschen bedeutet die Absage sämtlicher Kulturveranstaltungen und die Schließung vieler Betriebe bis auf Weiteres eine große Ungewissheit. Die Bundesregierung versucht, Firmen, Solo-Selbständigen und Künstler*innen Unterstützung zukommen zu lassen. Auch der Berliner Senat will Freiberufler*innen und kleinen Firmen helfen. Es ist jedoch bisher unklar, ob diese Programme auch bei Menschen greifen, die keine EU-Bürger*innen sind. Informationen sind schwierig zu finden.

Bei der Deutschen Bank bekomme ich keine verbindliche Auskunft darüber, ob das KfW-Kreditprogramm bei Unternehmer*innen mit türkischer Staatsangehörigkeit greift. Beim Gesundheitsamt stehen am Eingang Security-Leute mit Schutzmasken und sagen mir, Auskunft sei nur noch telefonisch möglich. Telefonisch ist das Gesundheitsamt allerdings nicht zu erreichen.

So ging es auch der Fotografin Özlem Şen, die seit drei Jahren als Freelancerin in Berlin lebt und arbeitet. Aufgrund der Corona-Krise hat sie sämtliche Jobs für die nächsten Monate verloren. Sie will über Online-Plattformen kleinere Jobs akquirieren, um zumindest Miete und Krankenversicherung zahlen zu können. Als sie im Netz erfuhr, dass das Jobcenter in Fällen wie ihrem helfen soll, ging sie zum Jobcenter Neukölln, um sich zu informieren, welche neuen Möglichkeiten es gibt. Allerdings sei keine der dort zu sprechenden Personen über die Lage informiert gewesen, erzählt Şen.

Sie konnte nicht einmal in Erfahrung bringen, ob ihre Staatsangehörigkeit ein Hindernis darstellt. Auch ihre Krankenkasse konnte ihr nicht weiterhelfen. Bis Redaktionsschluss versuchte Şen, sich durch deutschsprachige Meldungen im Netz und kolportierte Gerüchte zu kämpfen, um einen Weg aus der Existenznot zu finden.

Von institutioneller Hilfe keine Spur

Mustafa Duran betreibt einen Lahmacun-Imbiss in Neukölln und weiß sich derzeit nicht anders zu helfen als über eine WhatsApp-Gruppe, in der er sich mit anderen Gewerbetreibenden vernetzt. Niemand weiß, wie es mit dem eigenen Laden weitergehen soll. Und niemand wisse so recht, an wen sie sich wenden müssen, um Anträge auf Hilfe zu stellen. Mühsam versucht Duran zu verstehen, ob ein im Internet kursierendes Dokument das richtige Antragsformular für ihn ist oder vielleicht doch nur ein Aufruf für eine Unterschriftenkampagne zum Mietenstopp.

Nur noch Bestellungen zum Abholen dürfen in der Gastronomie abgewickelt werden. Dafür ist Duran aber nicht gerüstet. Er fürchtet, seine Angestellten entlassen zu müssen und ohne Kundschaft seine laufenden Kosten nicht mehr decken zu können. In seinem Fall scheint es ihm derzeit besser, den Laden ganz dicht zu machen als auf Kosten sitzen zu bleiben, ohne Einnahmen zu erzielen.

Auch Initiativen zur Hilfe kommen aus der Community. Die Berliner Frauen-NGO Puduhepa bietet etwa Beratung und Begleitung bei Behördengängen und Terminen an – auch mit kostenloser Verdolmetschung aus dem Türkischen und aus dem Englischen. Institutionelle Hilfe jenseits von Selbsthilfe und Selbstorganisation ist bisher allerdings nicht zu sehen.

“Hastalıktan korunmak için sık sık ellerinizi yıkayın.“ Ich gehe also nach Hause und wasche mir die Hände. Dann rufe ich einen Freund an, der durch die Krise seine Arbeit verloren hat. Er berichtet mir von zwei Möglichkeiten: Angeblich suchten Supermärkte Kassenkräfte, weil viele aus Angst vor Ansteckung diese Arbeit nicht mehr machen möchten. Und da die Grenzen geschlossen wurden, können die Saisonarbeiter*innen aus Polen und Rumänien dieses Jahr nicht zur Spargelernte in Brandenburg kommen. Mein Freund könnte sich also als Tagelöhner auf der Scholle verdingen.

Doch da tritt der CDU-Politiker Mathias Middelberg mit einer genialen Idee auf den Plan: Angesichts der Epidemie könnte man jetzt doch die 600.000 in Deutschland lebenden Geflüchteten auf den Arbeitsmarkt schicken. Zumindest können sie bei der Feldarbeit die Saisonarbeiter*innen ersetzen, die jetzt fehlen. Da fragen wir uns natürlich direkt mit der Bild-Zeitung: “Können Flüchtlinge unsere Spargelernte retten?“

* Name von der Redaktion geändert. Die Interviewpartner*innen wollten ihren echten Namen aus Sicherheitsgründen nicht nennen.

Aus dem Türkischen von Oliver Kontny

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