: Noch mal: „Eh, da liegt einer!“
■ Der Tod von Mike Zerna: Mord oder Unglück? / Am Ende des Hoyerswerda-Prozesses stehen die Fragen des Beginns
Diese Tat ist zu rekonstruieren: Zwölf Angeklagte werden sich, wie damals, im „WeKa X“ mit Bier und Schnaps zuschütten müssen, in zwei Autos springen, quer durch Hoyerswerda zum „Nachtasyl“ rasen und dort auf die Gäste einprügeln. Vielleicht sollte man anstelle der Gäste Pappkameraden aufstellen. Wichtig ist, daß die Jungs in Stimmung kommen, wie in der Nacht vom 19. zum 20. Februar vorigen Jahres.
Vor dem Klub muß ein Kleintransporter stehen. Die Angeklagten Steven F., Silvio T., Mirko S., Heiko R., Kay K., Maik P. und, das ist strittig, Hans-Michael P. haben sich auf dem Hof aufzuhalten. Vier oder fünf von ihnen müssen grölend über den Transporter herfallen, die Scheiben einschlagen und schließlich, auf Kommando, das Fahrzeug umkippen. Der entscheidende Moment: Silvio T. muß, in der gleichen Lautstärke wie damals, seine Worte: „Eh, da liegt einer!“ äußern. Flüstern, rufen, schreien oder brüllen, hörbar oder nicht hörbar, das ist die Frage.
Unter dem Transporter lag der 22jährige Mike Zerna. Er hätte, als die Clique sich nach der Tat aus dem Staub machte, noch gerettet werden können. Als ihn Freunde nach frühestens einer halben Stunde fanden und von der Last befreiten, war es zu spät. Mike Zerna starb im Krankenhaus. Sollte der Richter am Bautzener Landgericht, Hans Joachim Diener, der Argumentation von Staatsanwalt Peter-Jürgen Anders folgen und acht der zwölf Angeklagten wegen Mordes durch Unterlassen verurteilen, muß er den Hilfs-Beweisantrag der Verteidigung auf „Rekonstruktion des Lärmpegels“ erfüllen.
Keiner will den nach Ansicht eines Anwaltes „legendären“ Ruf „Eh, da liegt einer“ gehört haben. Gesichert ist nur, daß Mike Zerna aus der Fahrerkabine herausgezerrt worden war und bewußtlos am Boden lag. Vom Kommando zum Umkippen des Autos bis zum Kommando „Wir hauen ab!“ vergingen nur einige Sekunden. Die Tatbeteiligten standen im Radius von nur fünf Metern um das Fahrzeug. Beide Kommandos wurden von allen gehört und ausgeführt.
Als die beiden Streifenwagen der Polizei endlich eintrafen, stand der Transporter schon wieder auf Rädern. Die Idee, Fingerabdrücke und Fußspuren zu sichern, kam den Beamten nicht. Demnach lag es im Ermessen der Angeklagten, Geständnisse abzulegen. Nur drei Täter räumten ein, daß sie das Auto „aus Wut“ umgekippt hätten. „Ungefähr vier“ waren aber beteiligt. „Wütend“ waren die Stammgäste des als Rechtsradikalentreff bekannten Jugendklubs „WeKa X“, weil zwei aus der Truppe, Hans-Michael P. und Mike P., durch „linke Zecken“ aus dem „Nachtasyl“ angegriffen worden waren. Dabei waren Steine auf ein Auto geflogen, es soll Schläge gegeben haben.
Staatsanwalt Anders hält es für erwiesen, daß die Täter ihr Opfer gesehen und dessen Tod „billigend in Kauf genommen“ haben. Deshalb beantragte er gegen acht Angeklagte Haftstrafen zwischen dreieinhalb Jahren und 6 Jahren und 3 Monate wegen Mordes durch Unterlassen und schweren Landfriedensbruchs. Die Verteidiger gehen nur bis zum Tatbestand Landfriedensbruch mit; Haftstrafen bis maximal 3 Jahre seien angemessen. Das Urteil wird Anfang Juli verkündet. Detlef Krell
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