: Noch keine Einigung im Wahlstreit
■ Auf der gemeinsamen Sitzung der Parlamentsausschüsse Deutsche Einheit gab es keine Annäherung/ CDU bringt mit Fünfprozenthürde auf Länderebene als neue Variante in die Debatte
Bonn (taz/dpa) - Im Streit um das Wahlrecht für die ersten gesamtdeutschen Wahlen deutete sich gestern abend auf der gemeinsamen Sitzung der beiden Parlamentsausschüsse Deutsche Einheit noch immer keine Einigung an. Dies äußerten sowohl Innenminister Schäuble als auch die Grünen-Abgeordnete Vollmer am Rande der Sitzung. Demgegenüber betonten SPD -Politiker, die Ausschüsse müßten sich jetzt über die Wahlmodalitäten einigen. Vom Ergebnis der gemeinsamen Tagung hat die Sozialdemokraten ihre heutige Entscheidung über ihren Verbleib in der Regierungskoalition abhängig gemacht.
Zwar hatte sich gestern nach SPD, FDP und Grünen auch die CDU/CSU für ein einheitliches Wahlrecht in einem einheitlichen Wahlgebiet ausgesprochen; doch die neue Unionslinie - Fünfprozenthürde, bezogen auf die einzelnen Bundesländer - wurde von führenden SPD-Politikern bereits zurückgewiesen. Nach dem Unionsvorschlag würden alle Gruppierungen in das erste gesamtdeutsche Parlament einziehen, die in mindestens einem Land die Fünfprozenthürde überspringen.
Die Union versuchte gestern diese Variante als Kompromißlinie im Hinblick auf die Ostberliner Regierungskrise zu verkaufen. Faktisch läuft diese Version jedoch darauf hinaus, daß alle Gruppierungen einschließlich PDS und DSU im gesamtdeutschen Parlament vertreten sein würden und damit im Ergebnis der bisherigen Unionslinie entspricht.
Für diese Regelung, die bereits bei der ersten Bundestagswahl 1949 galt, ergaben sich gestern ungewöhnliche Koalitionen. Dafür sprachen sich unter anderem SPD -Präsidiumsmitglied Gerhard Schröder und der Grünen -Fraktionssprecher Willi Hoss, aber auch der deutschlandpolitische Sprecher der CDU/CSU -Bundestagsfraktion, Eduard Lintner, aus. Auch in der Koalitionsrunde sei diese Möglichkeit nicht ausgeschlossen worden, verlautete anschließend. Die Grünen kündigten einen entsprechenden Antrag für die Ausschußsitzung an. Sie bezeichneten ihren Vorschlag als den „elegantesten und demokratischsten“ Kompromiß, der auch den Bürgerrechtsgruppen der DDR eine Chance lasse.
Als andere Kompromißmöglichkeit gilt die Absenkung der Sperrklausel für das gesamte Wahlgebiet auf weniger als fünf Prozent. Wer dies wolle, müsse dafür aber gute Gründe anführen, sagte der SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel. Der SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine befürwortete die Beibehaltung der Fünfprozentklausel. Sie habe sich in der Bundesrepublik bewährt. Ähnlich argumentierte Lintner. Eine Absenkung der Sperre auf drei Prozent - wie sie jetzt auch die Republikaner forderten - würde allein der SED -Nachfolgerin PDS nützen, die mit ihrem zweistelligen Ergebnis in der DDR gesamtdeutsch über die Dreiprozenthürde springen würde. Von einer Einigung in der Wahlrechtsfrage hat die DDR-SPD ihr Verbleiben in der Ostberliner Koalition abhängig gemacht.
Die Frage des Wahlmodus sollte neben dem Stand der Vorbereitungen für den Einigungsvertrag zwischen Bundesrepublik und DDR im Mittelpunkt der Beratungen der Ausschüsse für Deutsche Einheit stehen, die in Bonn zu getrennten und einer gemeinsamen Sitzung zusammenkommen wollten. Führende Ostberliner Politiker, wie der Regierungsverhandlungsführer Günther Krause (CDU) und SPD -Fraktionschef Richard Schröder, trafen sich vorher zu getrennten Besprechungen mit ihren jeweiligen politischen Freunden.
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