KOMMENTAR: Noch ist Umkehr möglich
■ Asylstelle: Egoismus und Sturheit führen zur Explosion
Es wäre grob falsch, der Innenbehörde und den Bezirken zu unterstellen, sie wollten mit der Verlegung der zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber nach Hohenschönhausen hinsteuern auf eine Explosion des rassistischen Hasses. Schließlich kann die Verlegung nur begrüßt werden. Die Zustände am Friedrich-Krause-Ufer in Tiergarten sind seit vielen Jahren unzumutbar. Die Klagen über die barsche, schikanöse und ganze Tage dauernde Abfertigungstortur sind Legion. Eine Veränderung ist deshalb überfällig. Was aber den neuen Standort angeht, folgen Senat und Bezirke in engem Zusammenspiel und unterschiedlichen Motiven einer Konfliktdramaturgie, die dem »Handbuch des politischen Pyromanen« entnommen sein könnte.
In der Innenverwaltung hat man sich auf den Umzug nach Hohenschönhausen festgelegt. Einer Korrektur steht offenbar die Kontinuität des Verwaltungshandelns entgegen — trotz Rostock. Abwehr ist Trumpf. Man verhält sich so, als habe die Wirklichkeit die Machtkompetenz der Verwaltung unbillig in Frage gestellt. Dem Senat zur Seite stehen Bezirksämter, die eine solche Asylbewerberstelle überall sehen wollen, nur nicht bei sich selbst. Im Ergebnis wird nicht danach entschieden, welcher Standort geeignet, sondern welcher Bezirk am schwächsten ist.
Senat und die Westbezirke haben damit ihren Egoismus durchgesetzt. Den Schaden aber hat die gesamte Stadt. Asylbewerber werden auf lange Wege durch eine fremde Stadt geschickt und irren umher. Bewohner in Hohenschönhausen fühlen sich den fremden Menschen ausgeliefert. Aggressionen werden nicht ausbleiben, zumal die Mieter spüren, daß die Westler erneut ein Problem bei ihnen abgeladen haben. Neonazis, die bis jetzt noch wenig Basis haben, werden sich bedanken. Bevor es soweit ist, muß sich Ersatz finden lassen. Westberliner Bezirke werden dabei in der Pflicht stehen bis hin zum grünen Zehlendorf. Eine Unterbringung des Amts, und sei es im leerstehenden DDR-Außenministerium, ist jedenfalls für das auf weniger als ein Jahr geplante Provisorium immer noch besser als Hohenschönhausen. Gerd Nowakowski
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