: Noch immer kein Reform-Dialog
Mit der Nichtlegalisierung des Neuen Forum verweigert sich die SED ■ K O M M E N T A R E
Das ging wirklich schnell! Am Dienstag meldeten in den meisten DDR-Bezirken Oppositionelle die politische Gruppe „Neues Forum“ bei den Behörden an, am Mittwoch bereits wurden ihre Anträge vom Ministerium des Inneren abgelehnt. Noch nicht einmal den Schein rechtsstaatlichen Verfahrens ließ die DDR-Nomenklatura damit entstehen. Aber sagt das Verbot tatsächlich etwas über Reformchancen in der DDR aus? Große Zweifel sind da angebracht. Es ist kaum zu erwarten gewesen, daß der Übergang von post-stalinistischen Strukturen zu einem wie auch immer im Detail aussehenden gesellschaftlichen Kompromiß in der DDR so einfach möglich ist, die Etablierung einer politischen Opposition durch die Anmeldung einer politischen Vereinigung eingeleitet werden könnte. Man konnte doch nicht im Ernst erwarten, daß die vorherrschende totalitäre Struktur, die SED-Bürokratie, zur Geburtshelferin ihrer eigenen Alternative wird. Überraschen konnte das Verbot nicht einmal die Initiatoren der Oppositionsbewegung selbst.
Trotzdem ist der Versuch des „Neuen Forum“, sich von vornherein als legale Opposition zu formieren, ein kluges Signal gewesen, ein Appell an Partei und Gesellschaft zum Dialog. Daß eine Partei, die fast 40 Jahre lang ohne Dialog auskam, sich nicht über Nacht ändern würde, war absehbar, und somit ist die ministerielle Nichtgenehmigung des „Neuen Forum“ kein Drama.
Die SED ist eine zutiefst deutsche Partei. Sie kann sich nicht auflösen, abtreten wird sie auch nicht. Diesen Gefallen wird sie der eigenen Gesellschaft nicht tun, und sie wird auch nicht den westlichen Bedrängungsversuchen erliegen. Dabei ist die Ergebenheits-Arie der Blockparteien an die SED im 'Neuen Deutschland‘ vom Freitag bemerkenswerter als der Umgang mit den Forum-Initiatoren. Dieser Kotau stellt eine Absage an das der SED eigene Instrumentarium für einen von ihr ausgehenden Reformdialog in der DDR dar.
Auch die evangelische Kirche scheint ihr als Partner für einen solchen Dialog nicht mehr infrage zu kommen. So zumindest muß die heftige Leitartikel-Attacke des 'Neuen Deutschland‘ tags zuvor gegen die Eisenacher Synode interpretiert werden. Darin wurden jegliche „Gegenstrukturen als Maßnahmen um die DDR kapitalistisch und für die 'Wiedervereinigung‘ sturmreif zu machen“ denunziert. Den Knoten, den sich die SED da zur Zeit selbst knüpft, wird sie irgendwann einmal selbst wieder auflösen, oder er wird von anderen durchschlagen werden müssen. Die Einheitspartei schlittert in eine immer ausweglosere Situation. Um so wichtiger wird die Opposition, die sich an der Nichtlegalisierung nicht allzu lange aufhalten sollte. Sie braucht jetzt und in nächster Zeit vor allem Öffentlichkeit und eine politische und gesellschaftliche Verständigung darüber, wie ihre Zukunft des Sozialismus aussehen, welche gesellschaftliche Utopie über eine Negation des Post -Stalinismus hinaus sie entwickeln kann. Ob sich dieser „blinde Fleck“ zu einem „Dritten Weg“ aufhellen wird? Die Legalisierung einer Opposition wird, das zeigt das Beispiel Polens und Ungarns, erst der letzte Schritt.
Max Thomas Mehr
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