■ Die Euphorie wohlmeinender Freunde angesichts des Wahlsiegs der Italo-Linken ist ziemlich schwach begründet: Niedriger hängen!
Ein neuer Stil, kein Zweifel, zieht sich durch die ersten Aktionen der siegreichen Mitte-Links- Allianz Italiens. Wahlsieger Romano Prodi hat sofort der unterlegenen Rechten die Präsidentschaft über eine der beiden Kammern des Parlaments angeboten. Die Verfassungsreform, in Italien an sich mit absoluter und nicht erst mit Zweidrittelmehrheit möglich, will er nur gemeinsam mit der Opposition durchführen. Berlusconis Rechte hatte im Wahlkampf dagegen angekündigt, sie werde die von ihr angestrebte Transformation Italiens in eine Präsidialrepublik nach französischem Muster auch alleine durchziehen.
Respekt. Doch damit dürften sich die Heldentaten der neuen Regierung auch bereits erschöpfen – in Aktionen und Zugeständnissen, die nichts kosten. Alles andere aber wird zwangsweise zu baldigem bösem Erwachen beitragen; ganz speziell, was das schöne Schlagwort der „Solidarität“ angeht, mit dem Prodi die Wahlen gegen den allzu unverhüllt auf seine eigene Sanierung pochenden Berlusconi gewonnen hat.
In Italien gibt es nämlich längst nichts mehr zu verteilen – und im Gefolge auch nur noch wenig zu regieren: Wo kein Geld ist, lassen sich keine Gesetze durchsetzen, keine Reformen durchführen. Das gilt für Links wie Rechts gleichermaßen. Zwei Billionen Mark Staatsschulden lasten auf Italien, und dabei sind die Filetstücke der Staatsliegenschaften und anderer öffentlicher Eigentümer bis auf wenige bereits verscherbelt oder nicht mehr veräußerbar. Gestopft werden muß dagegen bereits in den nächsten Wochen ein neu aufgetanes Haushaltsloch von etwa zehn Milliarden Mark. Prodi hat versprochen, dies nicht durch weitere Schnitte bei den Bürgern und auch nicht durch Steuererhöhungen zu bewerkstelligen, sondern durch „Rationalisierungen“. Entlassungen sind damit angeblich nicht gemeint.
Versperrt sind ihm bei seinen Kernprojekten sowieso fast alle Wege – teils aufgrund von Altlasten, teils weil er sich selbst mit allerlei dazu noch widersprüchlichen Versprechen geknebelt hat. So kündigt er an, Italien werde bereits in den nächsten Monaten in die europäische Währungsschlange zurück und dann sofort die Maastricht-Forderungen erfüllen. Ein solcher Gewaltakt würde die Halbierung des Staatshaushalts bedeuten. Nicht einmal die Gehälter des öffentlichen Dienstes könnten dann gezahlt werden. Daß Italien in den vergangenen Jahren die Weltwirtschaftskrise überstanden hat, rührt fast ausschließlich von der schwachen Lira her, die Exporte enorm fördert. Dabei will Prodi auch noch, so ein weiteres Versprechen, den unterentwickelten Süden mächtig fördern – woher er das Geld nehmen will, ist völlig unklar. Wirft er die Notenpresse an, steigt nicht nur die Inflation – dann rücken die Maastricht-Kriterien auch den Euro-Zutritt wieder in weite Ferne.
Ebenso wolkig bleiben seine Versprechen in Sachen Justiz: Seit Jahrzehnten sind die Amtsstuben der Staatsanwälte und der Polizeireviere ein Chaos, viele Dienststellen sind nicht einmal zu einem Drittel besetzt, die meisten haben kein Fax, oft nur eine einzige Telefonleitung. Nun sollen sie sofort auf „europäisches Niveau“ gebracht werden – Kostenpunkt bei mäßiger Schätzung umgerechnet etwa 20 Milliarden Mark. Völlig lächerlich seine Ankündigungen zur Durchsetzung der Steuergerechtigkeit: Das will er einerseits durch vermehrte Fahndung nach Steuerhinterziehern, andererseits durch die – aufgrund der von den Sündern eingeholten Milliarden möglichen – Entlastung niedriger Einkommen verwirklichen. Alles Traumtänzerei. Sicher, in Italien gibt es Steuerhinterzieher zuhauf, nahezu der gesamte Mittelstand gehört zu den eifrigsten Nichtsteuerzahlern. Das aber beruht weniger auf einem notorischen Drückebergerhang der Italiener, sondern darauf, daß der Steuer- und Abgabendruck dort mit bis zu 62 Prozent der Einkommen so hoch ist, daß jeder korrekte Obolus- Entrichter bald dem Pleitegeier in die Augen schauen wird. Setzt Prodi die buchstabengetreue Eintreibung durch, hat er im Nu zu den 1995 schon mit mehr als 100.000 angegebenen Pleiten und Firmen- oder Ladenschließungen noch ein paar hunderttausend mehr und die dazugehörigen Arbeitslosen als Dreingabe.
Ähnlich überhoben die Erklärung, er werde nun mal den öffentlichen Dienst von Grund auf reformieren. Daß das nötig wäre, steht außer Zweifel. Viele der öffentlichen Aufgaben werden überhaupt nicht mehr wahrgenommen, auch solche, die für einen Eintritt in Europa unabdingbar wären. Doch die Reform würde mindestens um die 100 Milliarden Mark kosten.
Dies alles in einer Koalitionssituation, die alles andere als aus einem Guß ist: Die Neokommunisten, auf die Prodi im Abgeordnetenhaus angewiesen ist, haben bereits eine ansehnliche Anzahl von Anträgen angekündigt, die Prodi auf gar keinen Fall annehmen kann, weil er sein Programm genau in die andere Richtung ausgerichtet hat: So will die Rifondazione comunista die gleitende Lohnanpassung – den vierteljährlichen Inflationsausgleich – wieder einführen. Dazu wollen die Neokommunisten Bundesschatzbriefe und andere öffentliche Anleihen besteuern – was Prodi dem Volk feierlich zu verhindern versprochen hat. Auch die im Vorjahr unter der Regierung Dini ausgehandelte Neuregelung im Rentenwesen möchte die Rifondazione neu diskutieren. Falls Prodi sich weigert, wird Neokommunisten-Chef Fausto Bertinotti „die Massen“ zur Piazza del popolo rufen. So hat Prodi denn auch bereits Sendboten ausgeschickt, um den „moderaten“ Teil des Wahlverlierers „Pol der Freiheiten“, die Ex-Christdemokraten des Zentrums und der Unierten, zum möglichen Eintritt in die Regierung zu bewegen – nicht gerade eine Art, sich dem Olivenbaum- Wähler zu empfehlen, nachdem sich die Rechtskatholiken seit vergangenem Jahr so innig mit der Rechten und sogar den Neofaschisten eingelassen hatten. Auch die Annäherung der norditalienischen Ligen verspricht nichts Gutes für Prodi – die wollen einen ökonomischen Föderalismus, der den Zentralhaushalt faktisch auf Null bringen würde.
Wenn wir der Linken in Italien einen Gefallen tun wollen, dann sollten wir unsere Euphorie dämpfen und nichts, aber auch gar nichts von ihr erwarten – es ist schon Anlaß zur Freude genug, daß sie die Italiener überzeugt hat, den Rechten nicht noch einen weiteren Versuch zuzugestehen. Denn dieser wäre möglicherweise anders ausgefallen als der erste, den sie glücklicherweise verpulvert hat. Werner Raith
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