piwik no script img

Niedersachsens MooreTorfindustrie soll die Rettung bringen

Mit 35 Millionen Euro wollen grüne Minister Wiesen und Äcker in Feuchtgebiete zurückverwandeln. Dem Nabu reicht das nicht: Der Naturschutzbund will Milliarden – von der Industrie.

Vorsicht, ab hier wirds richtig sumpfig! Moor bei Quelkhorn in Niedersachsen. Bild: dpa

HANNOVER taz | Wirklich wohl fühlt sich Tanja Constabel, Sprecherin des „Industrieverbands Garten“ (IVG) und damit Lobbyistin der niedersächsischen Torfindustrie, an der Seite von Umweltschützern noch nicht. Ja, ihr Auftritt mit dem Landesvorsitzenden des Naturschutzverbandes Nabu, Holger Buschmann, sei „außergewöhnlich“ erklärt die Juristin schon zur Begrüßung.

Doch Constabel und Buschmann haben Großes vor: Beim von der rot-grünen Landesregierung organisierten Kongress „Niedersachsens Moorlandschaften“ präsentieren beide ein Konzept, das 25.000 Hektar der Feuchtgebiete retten soll – und das von der Industrie mit hunderten, wenn nicht mit über 1.000 Millionen Euro finanziert werden könnte.

Konkret schlagen Nabu und IVG vor, dass die Industrie Landwirten trockengelegte Wiesen und Äcker in der Größe von mehr als 20.000 Fußballplätzen abkauft – und diese „wiedervernässt“, also in Moore zurückverwandelt. Das Bonbon für die Industrie: Auf 8.450 Hektar soll zuvor der unter der Oberfläche liegende Torf abgebaut werden dürfen.

Blumenerde-Industrie auf die Füße treten

Bedrohte Moorlandschaft

70 Prozent aller Moore Deutschlands liegen noch heute in Niedersachsen - trotz Jahrhunderten des Torfabbaus.

Bedeckt sind die rund 220.000 Hektar großen Flächen aber oft mit einer Deckschicht aus Wiesen und Äckern.

Um die in naturnahe Moore zurückzuverwandeln, müsste diese Deckschicht abgetragen werden - gegen den Widerstand der Landwirte und mit Millionenkosten.

Denn die Mitglieder des IVG, die in Niedersachsen rund 2.500 Menschen beschäftigen, stehen unter Druck. Die Moore schützen wollen auch die mitregierenden Grünen: Nur wenige Minuten vor dem Auftritt Constabels und Buschmanns hatten die grünen Minister Stefan Wenzel (Umwelt) und Christian Meyer (Landwirtschaft) erklärt, dass sie der Blumenerde-Industrie auf die Füße treten wollen. „Vorranggebiete“ in Größe von 22.000 Hektar, die zum Torfabbau vorgesehen waren, sollen ersatzlos wegfallen.

„In 20 Jahren sind wir am Ende“, sagt die Lobbyistin Constabel dazu – setzen sich die Grünen durch, gäbe es keine Flächen mehr, aus denen noch Torf abgebaggert werden dürfte.

Doch die Naturschützer des Nabu halten die Aktion der grünen Minister trotzdem für Symbolpolitik. Zwar lehne sein Verband eigentlich „grundsätzlich den Torfabbau ab“, zwar seien Moore ein wichtiger Speicher des Treibhausgases Kohlendioxid, sagt Nabu-Chef Buschmann. Hauptgegner sei aber nicht die Torfindustrie – sondern die Landwirtschaft.

Denn die habe hunderttausende Hektar Moor trockengelegt und in Wiesen und Äcker verwandelt. Die unter der Oberfläche liegende Kohle-Vorstufe Torf komme nun in Kontakt mit der Luft – und zerfalle. Freigesetzt würden dabei Millionen Tonnen klimaschädliches Kohlendioxid, das seit mehreren tausend Jahren unter Wasser im Torf gebunden war. Deutschlands trockengelegte Moore trügen zur Klimakatastrophe ebenso viel bei wie „der deutsche Flugverkehr“, warnt Nabu-Chef Buschmann – und macht Druck. „In 30 Jahren ist unter der landwirtschaftlichen Fläche kein Torf mehr da. Eine Renaturierung der ehemaligen Moore ist dann nicht mehr möglich.“

Land wiedervernässen

Grundsätzlich sehen das die beiden grünen Minister Wenzel und Meyer ähnlich. Sie verweisen auf 35 Millionen Euro, die hauptsächlich aus EU-Mitteln stammen: Mit dem Geld soll Bauern Land abgekauft und dann wiedervernässt werden. Doch Naturschützer Buschmann hält das für völlig unzureichend: „Sie haben die Zahlen der Minister gehört“, sagt er, „wir brauchen aber Milliardenbeträge.“

Zusammen mit der Industrie will der Nabu-Chef deshalb die SPD und die Grünen überzeugen, doch mehr Torfabbau zuzulassen – schließlich müssen die für den Landkauf nötigen „Milliardenbeträge“ durch den Torfverkauf erst einmal verdient werden. Überzeugen muss Buschmann dazu aber nicht nur die Landesregierung: Auch der konkurrierende Umweltschutzverband BUND ist skeptisch. „Nicht abgestimmt“ sei der Nabu-Vorstoß, sagt Niedersachsens BUND-Vize Reinhard Löhmer – und warnt: „Das Projekt dient vor allem der Torfindustrie.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!