Niedersachsens FDP fordert Engagement: Auf dem Menschenrechts-Trip

Die niedersächsische FDP fordert bei politischen Delegationsreisen mehr Engagement für Menschenrechte. Früher war besonders das liberal gelenkte Wirtschaftsministerium viel unterwegs – noch 2011 lobte man Syriens Machthaber Assad.

Gut ein halbes Dutzend Mal im Jahr auf Reisen: Niedersachsens damaliger Wirtschaftsminister Jörg Bode (FDP) besucht 2010 ein Continental-Reifenwerk im chinesischen Hefei. Bild: dpa

Niedersachsen soll sich bei Politiker-Auslandsreisen stärker für Menschenrechte engagieren: Das fordert die FDP-Landtagsfraktion in einem Antrag. Noch im Juni stimmt das Parlament in Hannover voraussichtlich darüber ab. Schon Ende Mai hatten die Fraktionen im Innenausschuss übergreifend Zustimmung signalisiert.

Vor Delegationsreisen, sieht die Initiative vor, sollen sich Politiker „umfassend über die Lage der Menschenrechte im Besuchsland informieren“. Vor Ort seien Treffen mit zivilgesellschaftlichen Organisationen, Oppositionsgruppen und Menschenrechtsanwälten einzuplanen. „Nur wenn man mit den Menschen redet und auch wirtschaftliche Entwicklungen ins Ausland trägt, kann sich menschenrechtlich etwas verändern“, ist sich der FDP-Abgeordnete Jan-Christoph Oetjen sicher.

Eingebracht hat seine Fraktion den Antrag auch wegen Kritik an der Reiseunlust der neuen rot-grünen Landesregierung: Die hat einen Großteil der noch von ihren schwarz-gelben Vorgängern geplanten Delegationsreisen abgesagt – und damit Niedersachsens Unternehmer verärgert. Solche Trips nämlich seien „unglaublich wichtig für den Wirtschaftsstandort Niedersachsen“, klagen etwa die Unternehmerverbände.

Ein Abschiebestopp nach Syrien gilt bundesweit seit Mai 2011. Niedersachsens Ex-Innenminister Uwe Schünemann (CDU) wies Anfang Mai 2011 als zweites Bundesland nach Bayern seine Ausländerbehörden an, nicht mehr nach Syrien abzuschieben - nur Wochen nach der "positiven Bilanz" der niedersächsischen Delegation.

In Niedersachsen leben rund zwei Drittel der ausreisepflichtigen Syrer bundesweit. 406 von ihnen ließ Schünemann von 2009 bis zum Abschiebestopp abschieben - fast doppelt so viel wie jedes andere Bundesland.

Ende Mai hat sich der Landtag in Hannover einstimmig dafür ausgesprochen, 470 der 5.000 syrischen Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen sollen, auch dauerhaft aufzunehmen.

Allein Wirtschaftsminister Olaf Lies (SPD) hat vier der ursprünglich vorgesehenen fünf Fahrten gecancelt. Sein Vorgänger Jörg Bode (FDP) wollte etwa nach Thailand, Saudi-Arabien, Mexiko oder Kolumbien. Lies dagegen plant lediglich eine Skandinavienreise – und Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) bislang nicht eine einzige.

FDP-Minister Bode war seinerzeit gut ein halbes Dutzend Mal im Jahr unterwegs und schickte dazu noch Delegationen aus seinem Wirtschaftsministerium los. Menschenrechtliche Aspekte spielten aus Sicht von Flüchtlingsinitiativen kaum eine Rolle. Im Februar 2011 etwa reiste eine Delegation mit Bodes Staatssekretär Oliver Liersch (ebenfalls FDP) nach Syrien – und zog eine „positive Bilanz“.

Syrien sei ein „weltlich orientiertes Land“, hieß es im Anschluss in einer Pressemitteilung. Eine Entwicklung wie in Ägypten sah man als „unwahrscheinlich“ an, da Machthaber Assad „bedeutend jünger“ als andere arabische Machthaber sei und dem Volke „näher“ stehe.

Zeitgleich zum Besuch der niedersächsischen Delegation saß in Damaskus der 15-jährige Anuar Naso in Haft, der Anfang Februar 2011 zusammen mit seinem Vater von Niedersachsens damaligem Innenminister Uwe Schünemann (CDU) abgeschoben worden war. Mutter und Schwester blieben zurück.

Vater und Sohn Naso wurden gleich nach ihrer Ankunft in Syrien verhaftet. Der Vater blieb 13 Tage in Haft, Anuar einen Monat, Misshandlungen inklusive. Nach Deutschland zurückkehren konnte Anuar erst vergangenes Wochenende: Schünemanns Amtsnachfolger Boris Pistorius (SPD) hatte sich dafür eingesetzt. Gefordert hatten das nicht nur die einstige rot-rot-grüne Landtagsopposition oder Flüchtlingsorganisationen im Land: Eine Petition für Anuar fand stolze 18.000 Unterzeichner.

Entsprechend verwundert sind diese Akteure nun über den neuen Menschenrechtsaktionismus der FDP. Kai Weber vom Flüchtlingsrat etwa nennt die aktuelle Initiative eine „hervorragende Form der selbstkritischen Auseinandersetzung mit der Vergangenheit“. Die Grünen-Migrationspolitikerin Filiz Polat erklärt, sie freue sich „über den Sinneswandel der FDP“. Ihre Fraktion werde sich „einer gemeinsamen Initiative nicht verschließen“. Zugleich mahnt sie „entsprechendes Handeln auch auf der Bundesebene“ an.

Auch FDP-Politiker Oetjen sieht bei einigen Reisen der eigenen Regierungszeit Gesprächsbedarf. Vor allem jene nach Syrien sei „von heute aus betrachtet sicher sehr unglücklich“, sagt er. Ursprünglich habe die FDP den Menschenrechts-Antrag noch in der vergangenen Legislaturperiode einbringen wollen, das aber aus Zeitgründen verschoben.

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