Niedersachsen-Kommunen blockieren medizinische Versorgung von Flüchtlingen: Einführung der Gesundheitskarte krankt
Fast alle niedersächsischen Kommunen weigern sich, eine elektronische Gesundheitskarte für Flüchtlinge einzuführen, die deren medizinische Versorgung erleichtert. Sie fürchten zu hohe Kosten und eine zu gute Behandlung der Schutzsuchenden
Mit der Karte können Flüchtlinge in den ersten 15 Monaten nach ihrer Ankunft in Deutschland ohne weitere Formalitäten zum Arzt gehen. Später wird die Behandlung von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Ohne Gesundheitskarte aber müssen Geflüchtete sich vor jedem Arztbesuch einen Behandlungsschein holen, um ärztlich versorgt zu werden.
Ein zeit- und arbeitsaufwendiges Prozedere, das sich besonders bei akut auftretenden Beschwerden als unpraktikabel erwiesen hat. „Wenn Flüchtlinge erst zum Sozialamt müssen, geht Zeit verloren, was den Krankheitsverlauf verschlimmern kann“, kritisiert Kai Weber vom niedersächsischen Flüchtlingsrat. Zudem würden auf den Sozialämtern oft medizinische Laien über den Behandlungsbedarf der Flüchtlinge entscheiden.
Trotzdem kommt die Karte nicht voran. Der Grund für die landesweite Schneckennummer: Viele Kommunen befürchten höhere Kosten und sehen den Verwaltungskostenbeitrag für die Krankenkasse in Höhe von acht Prozent pro Rechnung als unangemessen hoch an. Auch haben Flüchtlinge laut Gesetz nur Anspruch auf eingeschränkte medizinische Leistungen – sie sind Patienten dritter Klasse.
Menschen, die als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, sind nicht automatisch krankenversichert. Je nach Bundesland gibt es unterschiedliche Regelungen.
In Niedersachsen müssen Asylbewerber in den ersten 15 Monaten meist erst zur Kommune gehen und sich dort einen Behandlungsschein holen, mit dem sie dann einen Arzt besuchen können.
Eine Rahmenvereinbarung für die elektronische Gesundheitsversorgung hat Niedersachsen Anfang 2017 mit den Landesverbänden der Gesetzlichen Krankenversicherungen getroffen. Sie auszugestalten obliegt aber den Kommunen.
Doch ob vom Arzt nur die Behandlungen vorgenommen werden, die unter die „Standards“ des Asylbewerberleistungsgesetzes fallen, lässt sich mit Einführung der Karte für die Kommunen nicht mehr kontrollieren. „Das System ist zu teuer und in der aktuellen Ausgestaltung eine zusätzliche Belastung für die Kommunen“, bringt der sozialpolitische Sprecher der CDU-Landtagsfraktion, Max Matthiesen, die Bedenken der Landkreise auf den Punkt.
In Delmenhorst teilt man diese Bedenken nicht. „Die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte ist hier insgesamt erfolgreich verlaufen“, teilt eine Sprecherin der Stadt mit. Seit dem 1. Januar seien 517 Krankenkassenkarten in Zusammenarbeit mit der Barmer GEK ausgegeben worden.
In Hannover denken die politischen Gremien derweil immerhin darüber nach, eine elektronische Gesundheitskarte einzuführen. Im Januar wurden Experten dazu im Sozialausschuss angehört. „Eine Entscheidung gibt es noch nicht“, sagt Andreas Möser, Sprecher der Landeshauptstadt.
Hildesheim hat dagegen ein eigenes Modell mit einer nicht-elektronischen Karte entwickelt. Flüchtlinge erhalten hier eine Karte mit Lichtbild, die bei Ärzten im Landkreis genutzt werden kann. Es gibt dabei keine Kooperation mit den Krankenkassen. „Es gibt hier – im Gegensatz zur elektronischen Gesundheitskarte – keine Prüfung der ärztlichen Abrechnung auf deren sachliche und rechnerische Richtigkeit“, teilte das Sozialministerium in Hannover mit.
Das Ministerium weist auf die Vorteile der Karte hin: „Die elektronische Gesundheitskarte für Asylbewerber ist ein wichtiges Instrument, um Geflüchteten eine menschenwürdige medizinische Versorgung zu gewähren. Zudem wird durch die Karte der Verwaltungsaufwand für die Kommunen verringert“, wirbt Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) für das Instrument.
In Bremen, Hamburg und auch in Schleswig-Holstein ist eine elektronische Karte schon seit längerer Zeit flächendeckend in Gebrauch. Anders als in Niedersachsen ziehen die Kommunen im nördlichsten Bundesland mit. Das Abrechnungsmodell gilt überall als Erfolg. „Sie bietet Geflüchteten einen diskriminierungsfreien Zugang zu ärztlicher Versorgung“, lobt Hamburgs Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) die hier schon 2012 eingeführte Karte.
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