Niederlagen und Fan-Protest: Liebesentzug im Ruhrpott
Am Tiefpunkt der Stimmung in Bochum entlässt der VfL Trainer Koller. Vor dem Pokalspiel gegen Schalke 04 wächst auch die Kritik an Präsident Altegoer.
BOCHUM taz | Ein Derby an einem Dienstagabend, dazu noch ein paar offene Rechnungen aus der Vergangenheit. Die Partie VfL Bochum gegen den FC Schalke 04 galt lange als das Topspiel der zweiten Hauptrunde des DFB-Pokals. Das war vor vier Wochen, kurz nach der Auslosung. Doch die Euphorie war schnell verflogen. In Gelsenkirchen dreht sich nach dem mäßigen Saisonstart alles nur noch darum, ob und wie die erdrückenden Schulden abgebaut werden können, und in Bochum entzogen die Fans nach einer Reihe leidenschaftsloser Auftritte ihrem Trainer, ihrer Mannschaft und schließlich dem ganzen Verein ihre Liebe. Für heute Abend sind sogar noch Eintrittskarten zu haben - auf beiden Seiten.
Beim VfL haben sie am Sonntag einen ersten Schritt unternommen, die Fans wieder zurück in den Schoß der Familie zu holen. Nach vier Jahren trennte sich der Verein von Trainer Marcel Koller. Ausschlaggebend war die 2:3-Niederlage gegen Aufsteiger Mainz 05. Die Stimmung unter den nur noch 16.000 Zuschauern war gekippt: Schals und Plakate brannten. Nach dem Spiel versammelten sich etwa 1.000 Fans vor der Geschäftsstelle und setzten die Proteste fort. Der Verein musste handeln. Eine weitere Eskalation nach einer Niederlage gegen Schalke wäre vermutlich nicht zu verantworten gewesen.
"Wir hatten Angst, dass die Mannschaft nicht mehr in der Lage ist, die Kurve zu kriegen", begründete Sportvorstand Thomas Ernst die Entlassung Kollers. "Es schmerzt", sagte der krisenfeste Schweizer hinterher. In der Vergangenheit hatte er sich immer wieder die Anti-Sprechchöre der Fans anhören müssen. Vorstand und Aufsichtsrat ließen sich davon bislang kaum beeindrucken. Doch am Sonntag meinte auch der starke Mann im Verein, Aufsichtsratschef Werner Altegoer, "dass es keinen Zweck mehr hatte, so weiterzumachen."
Vorübergehend soll A-Jugendtrainer Dariusz Wosz dafür sorgen, dass die Leidenschaft auf Ränge und Rasen zurückkehrt. Er wird gemeinsam mit dem ewigen Cotrainer Frank Heinemann den Platz auf der Bank warmhalten. Die Unterstützung der Fans dürfte dem ehemaligen Publikumsliebling zumindest während des Spiels sicher sein. Doch an der Gesamtsituation in Bochum dürfte sich auch durch einen Sieg im Pokalspiel wenig ändern.
Woher diese Anti-Stimmung kommt, ist für Außenstehende auf dem ersten Blick nur schwer nachvollziehbar. Vor drei Jahren kehrte der Verein in die erste Liga zurück und ließ sich seitdem von dort nicht mehr verdrängen. Der Fahrstuhl wurde in der richtigen Etage gestoppt. Außerdem ist der Club nahezu schuldenfrei. Die Verbindlichkeiten liegen derzeit bei knapp 200.000 Euro. Doch der ewige Kampf um den Klassenerhalt und die tendenzielle Chancenlosigkeit gegenüber einem Großteil der Konkurrenz hat bei vielen VfL-Anhängern im Laufe der Bundesligajahre ein schales Gefühl hinterlassen.
Über das reine Mitspielen in der Liga wollte keine Freude mehr aufkommen. Koller wurde vorgeworfen, er sei "emotional gescheitert". Der ruhige Schweizer passte scheinbar nicht in den Ruhrpott, wo die Menschen offen und ehrlich sind. Die Zuschauer wandten sich ab. Als am Sonntagabend die Entlassung Kollers offiziell verkündet wurde, warteten hinter der Geschäftsstelle nur noch ein knappes Dutzend Unentwegter. Erleichterung gab es trotzdem. "Jetzt, wo Koller weg ist, gehe ich auch zum Pokalspiel", sagte ein Fan.
Stunden vorher war die Entlassung übrigens bereits auf der Website des VfL mitgeteilt worden. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich Aufsichtsrat und Vorstand allerdings noch in Gesprächen. Eine "peinliche Panne", entschuldigte sich Pressesprecher Christian Schönhals hinterher. Auch das passt zum Verein: Die Außendarstellung ist nicht immer glücklich. Werner Altegoer hat sich mittlerweile fast völlig aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Fast erinnert er an Fidel Castro am Ende seiner Amtszeit - abgesehen davon, dass Altegoer auf der anderen Seite des politischen Spektrums steht.
Die Kritik am großen Vorsitzenden wächst jedenfalls stetig. Auf der Jahreshauptversammlung vor zwei Wochen entzogen 20 Prozent der anwesenden Mitglieder der Vereinsführung das Vertrauen und stimmten gegen die Entlastung des Aufsichtsrates. Für Bochumer Verhältnisse eine kleine Revolte. Die ersten Folgen waren am Wochenende zu spüren.
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