Niederländische Arbeiterpartei: Überraschender Abgang
Vor der Wahl in den Niederlanden: Der Sozialdemokrat Wouter Bos, aussichtsreicher Kandidat, entdeckt plötzlich seine Familie und tritt ab.
BERLIN taz | Einer der wichtigsten niederländischen Politiker ist zurückgetreten: Der Sozialdemokrat Wouter Bos gab am Freitag bekannt, dass er bei den Parlamentswahlen am 9. Juni nicht mehr antritt. Für die niederländische Öffentlichkeit kam dieser Rückzug völlig überraschend - viele hatten den 46-Jährigen schon als den nächsten Premier gesehen. "Ich will mehr Zeit meiner Familie widmen", erklärte Bos, der Vater von drei kleinen Kindern ist. Zu seinen Zukunftsplänen äußerte er sich nicht.
Der promovierte Volkswirt war Manager bei Shell, bevor er 1998 ins niederländische Parlament wechselte. Der entscheidende Karrieresprung kam 2007, als die Sozialdemokraten eine große Koalition mit den Christdemokraten eingingen: Bos stieg zum Finanzminister auf. In der Krise konnte er dann sein Talent zur Selbstinszenierung perfekt ausspielen: "Ich habe eine Bank gekauft", verkündete er im Herbst 2008, als er die Bankrottinstitute Fortis und ABN Amro verstaatlichte. Der christdemokratische Premier Balkenende sah dagegen blass aus.
Die Koalition mit den Christdemokraten kündigte Bos im Februar auf. Offizieller Anlass war Afghanistan: Die Sozialdemokraten sind für einen Abzug der niederländischen Truppen bis Ende 2010, die Christdemokraten wollten "alle Optionen" prüfen. Doch war unübersehbar, dass die Sozialdemokraten auch hofften, bei vorgezogenen Neuwahlen von ihren guten Umfragewerten zu profitieren.
Nun wird Job Cohen als Spitzenkandidat für die Sozialdemokraten antreten. Der langjährige Bürgermeister von Amsterdam steht für Toleranz und Integration der Muslime. Ihm werden gute Chancen eingeräumt, sich gegen den Rechtspopulisten Geert Wilders zu profilieren, der bei den Kommunalwahlen im März stark zugelegte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Das Weihnachten danach
Die Wahrheit
Glückliches Jahr