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Nie wieder Woodstock

■ Von Liebe, Geld und Hippietum: Murray Lerners „Message To Love: Isle Of Wight Music Festival“ im Panorama

Eigentlich zeigt das Panorama ja nur neue Filme. Das bezieht sich aber ausdrücklich auf den Fertigstellungtermin. Die Dreharbeiten zu Murray Lerners Musikfestivaldoku „Message To Love“ fanden 1970 statt. Die recht lange Produktionszeit von einem Vierteljahrhundert begründet Lerner mit, „finanziellen Problemen“. Dabei hätten wir Lerners Message als britisches Woodstock-Pendant, gut schon früher brauchen können. Denn anders als der „Woodstock“ Film, der uns mit 15 glauben ließ, die Hauptprobleme bei einem Festival seien Regen und schlechte Trips, entmystifiziert Lerners Film über das Isle Of Wight Festival 1970 eine ganze Generation.

Naja, das ist vielleicht etwas hochgegriffen, spannend aber ist zu beobachten, wie die sich diametral gegenüberstehenden Messages der Liebe und des Geldes auch 1970 schon miteinander gerungen haben. Drei Gruppen von Personen gehören zu einem Festival: Publikum, Musiker und Veranstalter. Die Veranstalter hatten damals nur mit 60.000 Zuschauern gerechnet, es kamen aber zehnmal so viele. Und die meisten davon fanden es uncool und gar nicht zu ihren zotteligen Felljacken passend, drei Pfund Eintritt zu bezahlen. Musik war Liebe und Liebe war frei. Doch auf der Isle Of Wight gab es eine doppelte Blechzaunreihe und eine Ordnerarmada mit scharfen Hunden. Eine Provokation für jeden aufrechten Hippie.

Das Publikum also versucht tagelang einen Zaun umzureißen, während drinnen Joni Mitchel im zitronengelben Strickkleid die Tränen kommen weil einige pfeifen. Einer von den Ober-Hippies stürmt auf die Bühne, nimmt Joni das Mikro weg und will seine Message durchsagen. Wie die Veranstalter diesen Mann von der Bühne schieben ist symptomatisch: solange ihn das Publikum sieht, wird er relativ vorsichtig behandelt, hinterm Vorhang geht's grob zu.

Lerners Material entwaffnet die Interviewten: „Es geht mir nicht ums Geld, sondern um die Musik“, sagt ein auf schüchterne Weise dreister Promoter. Dann versucht er die Veranstalter zu erpressen: „Wenn ihr nicht sofort das Geld rüberschickt, spielen Emerson, Lake & Palmer nicht. Ihr habt sie aber angekündigt“. Unter dem Banner der großen Hippiefreundschaft nimmt man sich gegenseitig als Geisel. Das zahlende Publikum wird von den Bands als Druckmittel benutzt. Die Veranstalter wiederum benutzen die Bands dem Publikum gegenüber als Druckmittel. Wenn ihr den Zaun nicht heil laßt, gibt's keine Musik mehr. Nervös werden die Manager schon als eine Band ein kleines Feuerwerk veranstaltet: „There's a fire on stage!“ Kann jemand löschen?

In kippliger Balance gehalten wird das Spiel von den Zuschauern selbst. Sie bilden die mächtige Polis der Festivalgesellschaft, das mit sich selbst droht: Wenn ihr nicht macht, was wir wollen, trampeln und brennen wir alles nieder. Wer zufällig in den Siebzigern beim Festival von Scheeßel zwischen Hamburg und Bremen dabei war, hat ein Bild davon, wie der Haß auf den Veranstalter und seine Hells Angels Ordner sich in eine brennende Bühne verwandelt. Zum Frühstück plünderten wir damals die Getränkecontainer und schleppten so viel Cola nachhaus, wie wir tragen konnten. Schade daß Lerner nicht doch etwas schneller fertig geworden ist. Andreas Becker

Message To Love: The Isle Of Wight Music Festival, Regie: Murray Lerner

Heute um 18 Uhr im Atelier am Zoo, morgen um 13.30 im Filmpalast, am 22.2. um 10.45 Uhr im Filmpalast

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