: Nichts mehr mit Kaiser
■ Rundes Jubiläum des Nord-Ostsee-Kanals Von Jürgen Oetting
Vor hundert Jahren verlor der Skagerrak für Seefahrer seinen Schrecken. Der sturmumtoste Übergang von der Nord- in die Ostsee wurde nicht mehr gebraucht. 1885 eröffnete der alte deutsche Kaiser eine maritime Abkürzung, die damals seinen Namen verpaßt bekam: Kaiser-Wilhelm-Kanal.
So hieß die künstliche Wasserstraße bis 1946, dann gab man ihr einen praktischeren Namen. Nord-Ostsee-Kanal bleibt der Schiffsweg auch, wenn die Regenten wechseln. Diese Bezeichnung gilt aber nur unter Deutschlands Landratten und ist auf keiner Seekarte ausgewiesen. Nord-Ostsee-Kanal ist nicht in das Englisch der internationalen Schiffahrtssprache übertragbar, denn eine East-Sea gibt es nicht.
Unsere Ostsee heißt auf den Seekarten Baltic-Sea und unser Nord-Ostsee-Kanal wird schmucklos als Kiel-Canal bezeichnet.
In Kiel-Holtenau beginnt für westwärts fahrende Schiffe die Reise durch das Binnenland, in Brunsbüttel für solche, die es nach Osten zieht. An beiden Kanaleingängen werden die Schiffe „geschleust“, das heißt per feuchtem Fahrstuhl auf das künstliche Wasserniveau der seemännischen Abkürzung gebracht. Ließe man auf beiden Seiten die Schleusentore offen, der Kiel-Canal würde auslaufen.
In den wenigen Minuten des Schleusvorganges werden die Frachtschiffe von Schiffsausrüstern mit Proviant und Ersatzteilen versorgt. Außerdem gehen hier Lotsen und Kanalsteurer an Bord. Im Kiel-Canal herrscht Lotsenpflicht. Die sogenannten Kanalkapitäne werden etwa auf halber Strecke bei der Lotsenstation Nübbel in der Nähe von Rendsburg von einem Kollegen abgelöst, der die zweite Hälfte der Durchfahrt überwacht.
Die sogenannten Kanalsteurer dagegen fahren durch. Sie sind spezielle Steuerleute, die Schiffe besonderer Größenklassen durch den Kanal lenken. Für den normalen Rudergänger birgt das schmale Fahrwasser zu viele Gefahren.
Es sind natürlich die Flaggen der Ost- und Nordsee-Anrainerstaaten, die vorrangig an den Masten der durchfahrenden Schiffe flattern. Der „Kiel-Canal“ ist damit eine Art Nahverkehrsstrecke in der internationalen Schiffahrt. Dafür aber die meistbefahrene, weit vor dem Panama-Kanal.
Die Giganten der Meere, die Supertanker, tauchen hier nicht auf. Für sie ist der Kanal mit seinen elf Metern Wassertiefe viel zu flach. Doch auch die ständig größer werdenden Mittelklasse-Frachter sorgen im Kanal für Probleme. Nicht nur die Navigation wird schwieriger, mit ihren Riesenleibern und ihrem Tiefgang lösen viele Schiffe komplizierte hydraulische Vorgänge aus. Darunter leiden die Kanalböschungen, die immer wieder unterspült zu werden drohen und mit großem Kostenaufwand gesichert werden müssen.
Der Kanalunterhalt ist teuer, und doch ist diese Wasserstraße immer noch ein Gewinn für die Schiffahrt. Es gibt aber auch einen großen Verlierer: Schleswig-Holsteins größter Fluß, die Eider. Deren Oberlauf wurde bis Rendsburg in das Kanalbett gezwängt und ist nicht mehr als Fluß zu identifizieren. Der Unterlauf wurde abgeschnitten, sieht aus wie ein Fluß, aber fließt nicht mehr.
Doch das wird die Festempfänge, Jubelfeiern, Ausstellungen und Besichtigungsfahrten dieses Jubiläumsjahres nicht stören. Auch wenn sein Brackwasser stinkt.
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