Nicht wirtschaftlich, nicht zukunftsfähig: Kohlekraftwerk Lubmin gekippt
Der dänische Staatskonzern Dong kippt das Kohlekraftwerk Lubmin. Neben dem örtlichen Widerstand spielt dabei auch mangelnde Wirtschaftlichkeit eine Rolle
STOCKHOLM taz | Am heutigen Montag wollten die deutschen Klimapiraten eigentlich vor dem Dong-Verwaltungssitz in Kopenhagen demonstrieren und über 4.000 Protestunterschriften gegen den beabsichtigten Bau eines Kohlekraftwerks an der Ostseeküste bei Lubmin überreichen. Nun werden sie dem staatlichen dänischen Energiekonzern stattdessen ihre Anerkennung aussprechen und mit den Verantwortlichen über zukunftsträchtige Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen diskutieren. Denn am Freitagnachmittag kippte Dong die Pläne für dieses umstrittene Kohlekraftprojekt
Seit drei Jahren hatte eine Allianz von Bürgerinitiativen gegen das Kraftwerk gekämpft, das die Klimagasemisionen von Mecklenburg-Vorpommern mit einem Ausstoß von jährlich 8 bis 9 Millionen Tonnen CO2 fast verdoppelt hätte. "Doch es war letztlich unsere eigene Entscheidung", betonte Dong-Chef Anders Eldrup, auch wenn dabei natürlich eine Rolle gespielt habe, dass es an der lokalen Unterstützung für das Projekt gefehlt habe. Außerdem habe die Regierung in Berlin ja nach der Bundestagswahl angekündigt, sie wolle in verstärktem Masse auf Atomkraft setzen.
Nachdem Dong im Oktober bereits projektierte Kohlekraftwerke in Emden und im schottischen Hunterston gestoppt hatte, kam das nicht völlig unerwartete Aus für Lubmin vermutlich nicht zufällig zu einem Zeitpunkt, zu dem größtmögliche Medienaufmerksamkeit garantiert war: Unmittelbar vor Beginn der heißen Phase des Klimagipfels in Kopenhagen.
Dong ist ein Hauptsponsor von COP15. Der zu 73 Prozent staatseigene Konzern war erst am Donnerstag in der Kopenhagener Tageszeitung Politiken scharf angegriffen worden: Er sei das deutlichste Beispiel für die dänische Doppelmoral in Sachen Klima.
Einerseits behaupte er als Gipfel-Gastgeber eine grüne Klimapolitik, andererseits wolle er in Deutschland ein Kraftwerk bauen, das mangels Kraft-Wärme-Kopplung einen Wirkungsgrad von allenfalls 47 Prozent erreichen könnte und allein für vergleichsweise 17 Prozent des gesamten jährlichen dänischen CO2-Ausstoßes stehen würde.
"In Dänemark hätten wir so ein Projekt niemals akzeptiert", betont Anders Larsen, Energie- und Umweltprofessor an der Universität Roskilde: "Und wir können nicht einfach andere Maßstäbe anlegen, wenn es um die Geschäftspolitik von Staatsunternehmen im Ausland geht."
Mit Lubmin kippt Dong sein letztes Kohlekraftneubauprojekt überhaupt. "Wir haben kein weiteres auf dem Reißbrett", erklärte Dong-Chef Eldrup. Und ganz im Gegensatz zum schwedischen Staatskonzern Vattenfall will sich das dänische Energieunternehmen tendenziell ganz aus der Kohleverstromung verabschieden.
Kommen derzeit nur 15 Prozent seiner Stromproduktion aus erneuerbaren Quellen, sollen es in zehn Jahren die Hälfte und 2040 85 Prozent sein. Eldrup: "Wir glauben, dass das ein gutes Geschäft ist und erneuerbare Energie ein besseres Geschäft als Kohlekraft ist."
Doch auch der mittlerweile fehlende Glaube an den Erfolg der CCS-Technik (Carbon Dioxide Capture and Storage), bei der Kohlendioxid abgeschieden und dann eingelagert werden soll, spielte offenbar eine Rolle bei der Entscheidung, nicht weiter auf Kohlekraft zu setzen.
Hatte Dong noch vor Jahren vielfältige CCS-Pläne und arbeitete mit mehreren Pilotprojekten, meldete man bereits Mitte November den Stopp für alle weiteren Investitionen in diesen Bereich. Man werde zwar mit Interesse beobachten, wie sich diese Technik weiter entwickle, erklärte Dong-Entwicklungschef Charles Nielsen, selbst aber keine aktive Rolle mehr spielen: Das Potenzial sei zu unsicher, die Kosten dafür lägen viel zu hoch.
Tarjei Haaland, Energie- und Klimamitarbeiter bei Greenpeace-Dänemark hofft, dass das Dong-Signal auch bei den Energieunternehmen ankommt, die in Deutschland noch immer auf neue Kohlekraftwerke setzen wollen: "Wenn das 2-Grad-Ziel erreicht werden soll, darf in Deutschland und anderen reichen Ländern der Welt kein einiges neues Kohlekraftwerk mehr gebaut werden."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Bundestagswahlkampf der Berliner Grünen
Vorwürfe gegen Parlamentarier
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt
Berliner Kultur von Kürzungen bedroht
Was wird aus Berlin, wenn der kulturelle Humus vertrocknet?