: Nicht nur sachliche Kritik
■ betr.: „Das Erbe des proletari schen Judenhasses: Antizionis mus?“, taz vom 10. 9. 96
In ihrer Besprechung meines Buches „Die SED und die Juden – zwischen Repression und Toleranz. Politische Entwicklungen bis 1967“ (Berlin. Akademie Verlag 1995) übt Karin Hartewig leider nicht nur sachliche Kritik. Sie greift auch zu Verfälschungen von Aussagen meines Buches.
1. Frau Hartewig behauptet, ich hätte für die Jahre 1952/53 und 1967 „bei der westeuropäischen beziehungsweise westdeutschen Linken eine Haltung (konstatiert), die mit der der SED im Effekt konform ging. Dieser Kurzschluß ist besonders für das Jahr 1967 perfide, weil Keßler das kritische Abrücken westdeutscher Linker von Israel, das die Linke insgesamt tief spaltete, mit einer bellenden Polemik der SED gleichsetzte.“
Abgesehen von Hartewigs Jargon („bellende Politik“), der natürlich im Buch nicht zu finden ist, stelle ich hierzu fest:
In meinem Buch ist genau das Gegenteil von Hartewigs Behauptung zu lesen. Auf Seite 95 werden mehrere Beispiele für die Distanzierung westlicher Linker vom Stalinschen Antisemitismus 1952/53 genannt, darunter Sartre. Auf den Seiten 144 bis 146 werden ausführlich Kritiken westdeutscher Linker an der SED-Politik gegenüber Israel 1967 behandelt; dies betrifft Rolf Rendtorff, Iring Fetscher und Theodor Bergman. Wer Frau Hartewigs Artikel und mein Buch liest, mag entscheiden, wer „besonders ... perfide“ gearbeitet hat.
2. Frau Hartewig schreibt, ich hätte im Anhang des Buches 64 Kurzbiographien präsentiert. Daran anschließend behauptet sie, ich hätte die Auswahlprinzipien nicht benannt: „Seine Kriterien werden nicht deutlich. Und so bleibt nach der Lektüre der ungute Eindruck zurück, hier werde eine Form von „Outing“ betrieben, die einen historischen Voyeurismus bedient.“
Hierzu stelle ich fest: Die Kriterien der Auswahl für die Aufnahme in den biographischen Anhang sind sehr wohl benannt. Auf Seite 177 schreibe ich in der Vorbemerkung zu den Kurzbiographien: „Die folgenden Kurzbiographien jüdischer DDR-Bürger konzentrieren sich auf Persönlichkeiten des politischen Lebens. Naturwissenschaftler, Künstler oder anderweitig beruflich Tätige wurden dann aufgenommen, wenn sie eine politisch herausgehobene Funktion ausübten.“
Weder ein „Outing“ noch ein „historischer Voyeurismus“ wurden betrieben oder bedient. [...] Dr. Mario Keßler, Zentrum für Zeit-
historische Forschung Potsdam
Anm. d. Red.: Dr. Karin Hartewig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Historischen Institut der Friedrich-Schiller-Universität Jena und arbeitet an einem Projekt: Jüdische Kommunisten in der DDR.
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