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„Nicht nur Politik für uns“

■ Grüne debattierten Wahlausgang: weiter für Rot-grün / Erstaunlich erwachsene Töne. Aber: „Wohin wackelt der Pudding SPD?“

„Von dieser SPD kann man keine Reformpolitik erwarten. Wir müssen sie machen.“ Christine Bernbacher von der grünen Bürgerschaftsfraktion brachte auf den Punkt, was die grüne Mitgliederversammlung den ganzen Dienstag abend über debattiert hatte: große Skepsis gegenüber der wankenden Bremer Sozialdemokratie, das Gefühl einer großen Verantwortung angesichts der dramatischen Bremer Probleme, aber trotzdem, oder gerade deshalb, ungebrochener Regierungswille. Die SPD weiß nicht so recht, die Grünen stehen weiter zu Rot-grün. Der Horror vor einer Großen Koalition sitzt tief.

Es ist noch gar nicht so lange her, daß sich Grünen-Versammlungen gerne um die eigene Parteiseele drehten. Daran gemessen waren es schon ungewöhnlich viele erwachsene Töne, die am Dienstag zu hören waren. Das Wahlergebnis und das Bewußtsein, daß die nächsten vier Jahre die entscheidenden für das Sanierungsprogramm sein werden, haben zu der Erkenntnis geführt, daß die Zeit der reinen Klientelpolitik vorbei zu sein scheint.

Flächendeckend liegen die Grünen über sieben Prozent, auch in Gebieten, in denen sie bislang bei den WählerInnen keine Schnitte bekommen hatten. Fazit von Ralf Fücks: „Wir sind schon lange nicht mehr am Rand, wir sind mitten in der Gesellschaft.“ Der Wählerauftrag sei eindeutig, es müsse Politik für die ganze Stadt gemacht werden. „Wir werden uns nicht mit der Juniorpartnerschaft begnügen.“ Oder Helga Trüpel: „Keine Klientelbedienung. Wir müssen Politik auf der Höhe der Zeit machen. Das erwarten die Leute von uns.“ Oder Hermann Kuhn: „Wir können Politik nicht nur für uns machen.“ Oder eben Christine Bernbacher: „Wir haben eine viel größere Verantwortung.“

„Eine viel größere Verantwortung“, die grüne Last kommt nicht allein aus dem Wahlergebnis, sondern vor allem aus dem Zustand der SPD. Die stand erwartungsgemäß im Zentrum der Debatte. Und ebenso erwartungsgemäß wollte so gar keine Euphorie für eine rot-grünes Bündnis aufkommen. „Wohin wackelt der Pudding SPD“, war eine Frage am Rande der Versammlung. Und schon die Frage machte deutlich, mit wieviel Reserviertheit die Grünen auf den ungeliebten Wunschkoalitionär zugehen. SPD-Bürgermeisterkandidaten des Aufbruchs – „ich sehe keinen“, sagte die Abgeordnete Maria Spieker. „Das muß man mal benennen.“

Einerseits sei die SPD in ihrem jetzigen Zustand fürs Regieren nicht gut geeignet, meinte der Neuparlamentarier Helmut Zachau, „andererseits gibt es da viele reformbereite Kräfte“. Ohne gesellschaftlichen Druck sei aber keine Reform hinzukriegen. Daß dieser Druck zustandekommen könne, dafür gebe es allerdings hoffnungsfroh stimmende Signale. „Die Kollegen in der Schule fragen schon, was passiert, wenn Frau Motschmann Bildungssenatorin wird. Soll jetzt das Schulgebet eingeführt werden, oder was.“

Eine Prise Pfeffer erhielt die Debatte durch einen Beitrag von Walter Ruffler, der sich schon manches Mal in der abgelaufenen Legislaturperiode quergelegt hatte. Jetzt schlug der ausgewiesene Linke Ruffler der Versammlung vor, die Grünen sollten doch auch mit der CDU verhandeln. „Ein Vertrag mit de CDU wäre auch nicht schlimmer als der mit der Ampel.“ Und er erhielt einigen Beifall – allerdings auch reichlich contra, zum Beispiel von Karoline Linnert: „Man muß sich nur die rassistische Rede Ulrich Nölles zur letzten Regierungeserklärung angucken“, meinte sie. „Mir ist nicht aufgefallen, daß die innerparteiliche Demokratie und die Frauenfrage in der CDU gut aufgehoben wären.“

Wie auch immer sich die SPD-Basis entscheiden wird, die Grünen haben vorsichtshalber schonmal eine Verhandlungsdelegation bestimmt. Mit dabei: Die SpitzenkandidatInnen Helga Trüpel und Ralf Fücks, die ParteisprecherInnen Karin Krusche und Arendt Hindricksen, die FraktionssprecherInnen Elisabeth Hackstein und Dieter Mützelburg und Elisaneth Hackstein und der Bremerhavener Abgeordnete Manfred Schramm. Dazu wählte die Versammlung noch die Abgeordnete Karoline Linnert und den parteilosen Viertel-Bürgermeister Robert Bücking. J.G.

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