: Nicht nur Anschläge zählen
■ Schreibkräfte nehmen Unterbezahlung nicht länger hin / Frauenfeindliche Sprüche von den Chefs
nehmen Unterbezahlung nicht länger hin / Frauenfeindliche Sprüche von den Chefs
„Fräulein, können Sie uns einen Kaffee kochen?“ Die Zeiten, als diese Frage noch täglich durch die Büros hallte, sind heute — hoffentlich — vorbei. Doch noch immer werden Schreibkräfte bei der Einstellung gefragt, wieviele Anschläge sie denn zustande brächten. Die Schnelligkeit, ein Kriterium, das im Computer-Zeitalter zunehmend an Bedeutung verliert, gilt auch im öffentlichen Dienst als Berechnungsgrundlage für das zu empfangende Gehalt. So bekommt eine „Tippse“, die über 290 Anschläge in der Minute schafft, rund 2500 Mark brutto. Ist sie „schlecht“ und bewältigt „nur“ 270 Buchstaben in der kurzen Zeit, wird sie in eine untere Vergütungsgruppe eingestuft, folglich verringert sich ihr monatliches Einkommen um 130 Mark.
Diese Einstufung in Vergütungsgruppen entspricht einer alten Tarifverordnung von 1969, die spätestens durch die Einführung von Computern und die dadurch vollzogene Umstrukturierung auch im öffentlichen Dienst hinfällig geworden ist. Heutzutage haben Schreibkräfte längst nicht mehr nur handgeschriebene Manuskripte oder Diktate in eine leserliche Form zu bringen. Durch die Einführung von Textverarbeitungs-, Grafik- und Verwaltungsprogrammen verwandelte sich ihr Arbeitsplatz in eine Allround-Erledigungsstelle, die in der Privatwirtschaft rund einen Tausender mehr pro Monat bringen würde.
Als die ÖTV voriges Jahr dem Arbeitgeber „Staat“ die Änderung der Vergütungsgruppen vorschlug, blieb weitgehend alles beim alten. Nächste Woche geht es in die dritte Verhandlungsrunde. Die bundesweit 200000 Angestellten in der Textverarbeitung verlangen angemessenere Eingruppierung in die BAT-Tarife: Die Qualifikation soll nicht an der Schreibgeschwindigkeit festgemacht werden, sondern dem „hochqualifizierten Mischarbeitsplatz“ (ÖTV-Pressesprecher Jens Hnyk) Rechnung tragen.
Elke Andresen, Schreibkraft und Frauenbeauftragte des Personalrates der Uni Hamburg, sieht in der Unterbezahlung der Schreibkräfte, die zu 98 Prozent weiblichen Geschlechts sind, ein generelles Problem: „Es geht hier um die niedrige Bewertung von Frauenarbeit.“ Auch Gudrun Sandmann, die als Schreibkraft im Krankenhaus Harburg arbeitet und ihren Ärzten auch schon mal den Kaffee kocht, weiß, daß „Frauen in den niedrigen Gehaltsgruppen ausgenutzt werden“. Das liege am „Harmoniebewußtsein der Frauen“, meint sie, „sie sind bereit, mehr zu arbeiten“, als ihr Gehalt es erfordere.
Dies scheinen die Männer fröhlich weiter ausnutzen zu wollen. Kämpfen Frauen um ihr Recht und werden disharmonisch, werden sie selten ernstgenommen. Elke Andresen weiß ein Lied davon zu singen: „Die Arbeitgeber haben laut gelacht, als sie hörten, daß Schreibkräfte in Tarifkommissionen sitzen, sie dachten, wir könnten nicht mehr als drei Sätze zusammenhängend reden.“ Auch die neuen PC-gestützten Arbeitsplätze der Frauen werden in der Männerwelt verächtlich mit Kinderplätzen verglichen. Monika Hillert, Angestellte beim Verwaltungsgericht Hamburg, mußte sich von einem Richter sagen lassen, mit einem Computer könne doch sogar sein Sohn umgehen. Annette Bolz
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