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Nicht mehr ganz so weit weg wie Afrika

Kreuzberger und Marzahner Schüler, deren erste Begegnung vor dem Gericht endete, räumen mit ihren Vorurteilen auf und setzen sich an einen Tisch / Sprechen über die „Probleme bei euch und bei uns“  ■ Von Barbara Bollwahn

Äußerlich unterscheiden sie sich nicht, die Schüler der 4. Gesamtschule aus Marzahn und der Kreuzberger Hans-Sachs-Schule. Trotzdem kommen sie aus zwei verschiedenen Welten. Doch was sie voneinander trennt, ist mit dem bloßen Auge nicht zu sehen. Ihre Vorurteile – „alle Kreuzberger sind Chaoten“ und „alle Marzahner sind Rechte“ – gerieten im November letzten Jahres aneinander. Zwei türkischen und einem serbischen Schüler aus Kreuzberg brachte dies eine Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs ein. Andererseits hat erst dieses Verfahren eine Begegnung der anderen Art möglich gemacht.

Die Religionslehrerin G. Müller war mit Schülern einer achten Klasse nach Marzahn gefahren, um ein Video über Gewaltvermeidung zu drehen. Doch die Exkursion nahm einen ungeplanten Verlauf. Die Kreuzberger Schüler, unter ihnen viele türkische, fühlten sich durch Hitlergruß und „Ausländer raus“-Rufe von Marzahner Jugendlichen provoziert und schlugen diese in die Flucht.

Zwei Tage nach dem Prozeß, der mit Freizeitarbeiten für die Angeklagten endete, sitzen zwei Mädchen und zwei Jungen der Marzahner 4. Gesamtschule und zwei Mädchen und ein Junge aus Kreuzberg zusammen an einem Tisch. Als „neutralen“ Treffpunkt hat Gabriele Scholze, Lehrerin an der 4. Marzahner Gesamtschule, das Entwicklungspolitische Bildungs- und Informationszentrum in Friedrichshain ausgesucht. Reiner Zufall ist das nicht. Zu DDR- Zeiten war sie als Entwicklungshelferin in Westafrika, nach der Wende entwicklungspolitische Referentin. Jede Menge Kontakte mit Afrika, doch mit Kreuzberger Schülern, von denen viele türkische Eltern haben, hatte sie noch nie zu tun. Ihre Schüler genausowenig. Auch in diesem Punkt unterscheiden sich die Schüler nicht: Marzahn oder Kreuzberg, das ist jeweils so weit weg wie Afrika.

Die drei LehrerInnen werden vor die Tür gesetzt. Die taz darf bleiben, entscheiden die Jugendlichen nach kurzer Debatte. An einem großen Tisch mit Colabüchsen, Gummibärchen, Keksen, Schokolade und Kaffee sitzen Manuela, Dajana, Michael und Oliver aus Marzahn und Mile, Janina und Silvija aus Kreuzberg. Die Marzahner sind etwas enttäuscht, daß keine türkischen Schüler dabei sind. Daß Mile und Silvija keine Deutschen sind, merken sie erst im Verlaufe des Gesprächs. Silvija kommt aus einer kroatischen Familie, Mile, der vom Gericht zu sechs Tagen Freizeitarbeit verdonnert wurde, hat serbische Eltern. Als Michael das hört, will er wissen, ob sie miteinander zurechtkommen. „Klar“, antworten sie. Das ist für sie kein Thema.

„Wir wollen nicht, daß unsere Schule so einen schlechten Ruf hat“, begründen Manuela und Dajana ihre Teilnahme an dem Gespräch. Michael will versuchen, mit den Kreuzbergern „auszukommen“. Oliver, der beim Prozeß als Zeuge ausgesagt hat („Wenn wir nichts gemacht hätten, wäre nichts passiert“), interessiert sich für „die Probleme bei euch und uns“. Während die Mädchen nach kürzester Zeit ihre gemeinsamen Interessen für Jungs, Einkaufen und Disco entdeckt haben und vertraut über „mädchenhafte flache“ und „frauenhafte rundliche Bäuche“ reden, tasten sich die Jungs langsam aneinander heran: Oliver schlägt ein gemeinsames Fußballspiel vor. Michael zieht den eigenen Bezirk vor und bietet an, die Kreuzberger abzuholen. Michael gibt zu, daß ihm Kreuzberg nicht ganz geheuer ist. „Ich war schon mal da“, erzählt er. „Da durfte ich die Beine in die Hand nehmen. So wie ich aussehe.“ Er hat einen gefährlich kurzen Haarschnitt. „Es müßten welche von euch dabeisein“, so seine Bedingung für einen Kreuzberg- Besuch. Denn ihn würde schon interessieren, wie die Hans-Sachs- Schule aussieht. „Dann macht ihr eine Freistunde und wir setzen uns auf den Hof und quatschen“, schwärmt er.

Die Marzahner sind zumeist die Fragenden. Oliver will von Mile wissen, ob er Vaterlandsgefühle empfindet, wenn bei der deutschen Nationalelf die Nationalhymne erklingt. Mile, der seit seiner Geburt in Deutschland lebt, zuckt die Schultern. Er empfinde nichts dabei. Auch die Frage, was passieren würde, wenn Oliver allein in die Kreuzberger Schule kommen würde, beantwortet Mile mit „nichts“. Oliver betont, daß er nichts gegen die Kreuzberger hat: „Aber ich finde Kreuzberg ganz schön kompliziert. Von der Religion und so.“ „Da sind wir problemfreier“, fügt der Marzahner Michael hinzu. Von Silvija will Oliver wissen, ob ihre kroatischen Eltern erlauben, daß sie einen Freund hat. „Momentan ja“, sagt sie, „und dann aber gleich heiraten“, stöhnt sie. Mile gibt ihm einen Tip unter Männern: „Wenn du dich mit ihr verabreden willst, dann laß ein Mädchen anrufen.“

„Erst waren wir Feinde, jetzt sitzen wir hier an einem Tisch“, wundert sich Michael, der ein T-Shirt mit dem Aufdruck „Hooligans gegen Nazischweine“ trägt und von Oi-Musik bis Punk so ziemlich alles hört. Als Mile sagt, daß er auch auf Breakdance steht, springt Michael auf und zeigt, was er kann: mit einem gekonnten Überschlag beeindruckt er die andern. „Ihr führt uns was vor und wir euch“, schlägt Mile vor. „Dann gibt es auch keine Streitereien.“

Die könnten nur entstehen, wenn die „höchstens fünf Hardcorerechten“ (Michael) an der Marzahner Schule und die voreingenommenen türkischen Schüler aus Kreuzberg nicht mitspielen. Man einigt sich auf den Versuch, die intoleranten Schüler auf beiden Seiten vor einem nächsten Treffen zusammenzubringen. „Ihr sucht die Schlimmsten raus“, sagt Mile, der hofft, daß das Gericht das Treffen auf die angeordnete Freizeitarbeit anrechnet. „Und wir auch. Wenn's vorher schon Streitereien gibt, dann geht's nicht.“ Doch alle sind ziemlich optimistisch. „Wenn sich Mädchen verstehen, verstehen sich auch Jungs“, spricht Silvija das Schlußwort für das weibliche Geschlecht.

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