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Nicht in den Hintergrund

Gespräch mit Jurij Ljubimow über die Situation des Theaters im heutigen Moskau  ■ I N T E R V I E W

Marie-Luise Bott: Seit Mai diesen Jahres haben Sie zwei Pässe, einen israelischen und einen sowjetischen. Was bedeutet die Wiederzuerkennung der sowjetischen Staatsbürgerschaft für Sie?

Jurij Ljubimow: Das ist einfach eine Wiederherstellung der Gerechtigkeit, denke ich. Meine Staatsbürgerschaft wurde mir zu unrecht genommen. Und einem Menschen seine Heimat wegnehmen zu wollen, ist sowieso eine sinnlose Beschäftigung. Ich bin doch trotzdem dort geboren. Man kann einem Menschen nicht den Ort nehmen, an dem er geboren wurde.

Haben Sie um die Wiederzuerkennung der Staatsbürgerschaft gebeten?

Nein. Offensichtlich ist das ihre Form der Erklärung. Nun, ich hatte ein Gespräch, wo man mir sagte, ob ich etwas einzuwenden hätte. Ich sagte, daß das damals nicht rechtens gewesen sei und daß ich fände, die Wiederzuerkennung der Staatsbürgerschaft würde eine gewisse Gerechtigkeit in das Verhältnis zu uns bringen, die wir rechtswidrig von ihnen vertrieben wurden. Ich bin ja nicht aus meinem Land geflohen, mir wurde die Staatsbürgerschaft entzogen. Offenbar haben sie dann diese Form gewählt: Auf mein Bitten hin...

Aber schon vor dieser Wiedergutmachung sind Sie in Ihre Heimat zurückgekehrt. 1988 kamen Sie auf eine private Einladung des Taganka-Theaters nach Moskau und arbeiteten dort an der Wiederaufnahme der fünf Jahre zuvor verbotenen Inszenierung von „Boris Godunow“ nach Alexander Puschkin. Was bedeutet für Sie die Moskauer Premiere von „Boris Godunow“?

Wie soll ich Ihnen das sagen? Das ist eigentlich ein Akt der Gerechtigkeit, ein Zeichen des Gott sei Dank endlich anerkannten Rechts auf eine unabhängigere Existenz der Bürokratie gegenüber.

Ihre Inszenierung wurde auf dem allrussischen Moskauer „Theaterfrühling“ 1989 mit dem ersten Preis ausgezeichnet. Auch für die nächste Zukunft des Taganka-Theaters haben Sie schon wieder eine Menge Pläne: eine Dramatisierung von Platonow-Erzählungen, die Aufführung von Nokolaj Erdmans Stück „Der Selbstmörder“, ein Abend über die Lyrik von Boris Pasternak, Ossip Mandelstam und Anna Achmatowa, durchsetzt mit Erinnerungen und Briefen ihrer Zeitgenossen... Werden Sie jetzt also so etwas wie ein „fliegender Regisseur“ zwischen Moskau und dem Ausland werden?

Das ist jetzt schwer zu sagen. Das Theater will, daß ich wieder zurückkehre und es leite. Aber offizielle Gespräche mit den Behörden hatte ich noch keine. Wie mein Status sein wird, ist also noch unklar. Aber das Theater bittet mich, weiter mit ihnen zu arbeiten. Und das werde ich auch tun, wahrscheinlich ab Herbst. Jetzt will ich in England „Hamlet“ inszenieren, mit englischen Schauspielern. Und dann werde ich wieder an mein Theater gehen und dort arbeiten...

Welchen Eindruck hatten Sie bei Ihrem Aufenthalt in Moskau von der augenblicklichen Situation des Theaters dort?

Es wäre leichtsinnig, dazu etwas zu sagen, denn ich habe nur sehr wenig gesehen... Die Theater haben es jetzt sehr schwer. Denn es gibt einen ungeheuer großen Strom von Informationen. Niemals hat es eine solche Freiheit des Wortes gegeben. (Jurij Ljubimow gebraucht nicht das altherrschaftliche Wort „Glasnost“, „Stimme gewähren“.) Und das Fernsehen ist jetzt ein außerordentlich starker Konkurrent des Theaters, ebenso wie die Publizistik, das Dokumentarische... Deshalb muß das Theater jetzt nach eigenen, neuen Wegen suchen, um mit diesem unaufhaltsamen Strom von Informationen zu konkurrieren, der die Sowjetbürger überwältigt. Sie sind eine solche Flut von Informationen nicht gewohnt. Und als der Kongreß der Abgeorneten tagte, saßen wohl alle nicht in den Theatern, sondern an ihren Fernsehgeräten und schauten, wie diese für die Sowjetbürger so ungewöhnlichen Diskussionen abliefen.

Freut es denn einen alten Mann des Theaters wie Sie, zu erleben, wie das Theater nun in den Hintergrund tritt?

Sehen Sie, ich denke, wenn es dem Theater, egal welchem, gelingt, ein wirkliches Kunstwerk zu schaffen, dann tritt es nicht in den Hintergrund. Und es wird immer in so einer riesigen Stadt wie Moskau seine Zuschauer finden. Auch bei uns, bei „Boris Godinow“, dem „Lebendigen“ von Moschajew, dem Stück über Wladimir Wyssozkij, bei all diesen einst verbotenen Aufführungen gab es immer Massen von Zuschauern und keine Karten mehr für das Theater. Ganz so wie in all den 25 Jahren...

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