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Nicht grün, nicht rot, nicht orangeDie APO ist zurück

Die wahre Opposition in Berlin sitzt nicht im Abgeordnetenhaus: Es sind die Bürger, die die Themen setzen.

Die Bürgerinnen und Bürger sind die wahre Opposition in Berlin Bild: dpa

Die wahre Opposition steht auf der Straße. Denn, mal ehrlich: Alle grundsätzlichen Politik-Anstöße der letzten Zeit wurden nicht in den Hallen des Abgeordnetenhauses ausgeheckt.

Beispiel Mieten. Verdrängung aus der Innenstadt ist für Rot-Rot zehn Jahre lang kein Thema, der Senat versilbert städtische Wohnungen. Dann kommen die Gentrifizierungsdebatte, die Kiezinitiativen, eine Mietendemo im Wahlkampf - und plötzlich haben Rot-Schwarz und Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) ein neues Thema, schieben Ferienwohnungen und Mieterhöhungen der Wohnungsbaugesellschaften einen Riegel vor.

Beispiel Wasser. 666.235 Berliner stimmen für die Offenlegung der Privatisierungsverträge, um die Wasserbetriebe zurück in Bürgerhand zu holen - und plötzlich reden alle über Rekommunalisierung. Selbst Wirtschaftssenatorin Sybille von Obernitz (Ex-IHK) will einem Rückkauf nicht im Weg stehen.

Beispiel Flugrouten. Über ein Jahr lang demonstrieren Randberliner gegen Fluglärm. Heute sagt selbst Flughafenchef Rainer Schwarz, nur dank der Proteste habe man die Routen mit dem wenigsten Lärm gefunden.

Für Rot-Schwarz ist das kein gutes Omen. Der Koalition fällt herzlich wenig ein, wenn es darum geht, die Bürger in die Politik einzubinden. Wählen mit 16 Jahren und ohne deutschen Pass? Abgelehnt. Niedrigere Hürden für Volksbegehren? Nicht mit Rot-Schwarz. Mehr Bürgerforen, gar Innovativeres? No way.

Dieser Senat unterschätzt die Berliner. Denn die haben wieder Lust auf mehr als Sachzwangpolitik. Die 8,9 Prozent für die Piraten zeigen es. 8,9 Prozent für eine Partei, die ein Wahlrecht ab der Geburt und Rauschkunde in der Schule will. Die sich was traut.

Rekord bei Demos

Die politische Szene jenseits der Parlamentsmauern ist gerade gut in Fahrt: Über 4.050 Demos wurden 2011 angemeldet - Rekord! Schon planen Initiativen ein Mietentribunal, sammeln Flugroutengegner Unterschriften für einen Volksentscheid. Andere feilen an einer sozialen Liegenschaftspolitik, grübeln über kommunale Stadtwerke und die Enteignung von Vattenfall.

All das geht viel weiter als die bisherigen Vorstöße der grün-rot-orangen Oppositionäre. Gefährlich wird es für Rot-Schwarz, wenn sich das Außer- mit dem Innerparlamentarischen verschränkt. Der Protest der Datenschützer und Occupisten - aufgefangen von den Piraten. Das Eintreten gegen den A-100-Weiterbau - niemand wird es mehr unterstützen als die Grünen. Und die Linkspartei stellte sich schon vor Wochen hinter den Wasser- und S-Bahn-Tisch. Vorbereitet wird die Agenda aber weiterhin auf der Straße.

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3 Kommentare

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  • L
    lisa

    Wer längere politische außerparlamentarische Erfahrungen hat, weiß, dass es bei jeder Partei sehr schwer ist, die Abgeordneten für die Unterstützung eines ökologischen oder sozialen Anliegens zu motivieren. - Außer die Bürgerinitiative hat es geschafft, das jeweilige Thema groß in die Medien zu kriegen. Dann schreiben die Abgeordneten sofort unterstützende Presseerklärungen und "hängen sich dran." Ist das Thema wieder medial uninteressant, kommt von den Abgeordneten meist wieder nichts.

     

    Eine konsequente, klare Linie, auch in der eigenen Partei, die selbst propagierten inhaltlichen Positionen durchzusetzen, auf der politischen Ebene, auf der die eigene Partei mitregiert, ist mir noch nie begegnet.

     

    Es lassen sich leicht von den Regierungsparteien auf Landes- und Bundesebene Taten einfordern, die von der eigenen Partei z.B. auf Bezirksebene im real möglichen Rahmen nicht durchgezogen werden. (Das mag daran liegen, das die KandidatInnen fürs Abgeordnetenhaus ja stets von der Partei aufgestellt werden müssen und wenn die Parteilinie öfter mal unterschiedlich ist, da wo der eigene verein mitregiert, sagt man offenbar besser nichts.)

     

    Am Ende sind so alle Parteien unglaubwürdig und man tritt für mehr direkte Demokratie ein. Allerdings kommt es bei der direkten Demokratie sehr stark auf die Ausgestaltung an.

     

    (Die Piraten versuchen zumindest Einiges anders zu machen und beteiligen ihre Parteibasis stärker an den politischen Entscheidungen. Inwieweit sie aber tatsächlich außerparlamentarische Initiativen in Berlin unterstützen wird sich zeigen. Bisher habe ich da noch nicht viel gesehen.

  • EA
    Enzo Aduro

    @Sandra

    Die Deutsche Flugsicherung ist nicht privatisiert. Sie ist ein staatliches Unternehmen. Quasi ein kommunales Unternehmen auf Bundesebene.

  • SS
    Sandra S.

    Da ist schon etwas dran. Nur dem Punkt, dass die lärmschonensten Flugrouten gefunden wurden, kann ich nicht zustimmen. Die Müggelseeroute ist ganz klar dem Wunsch von Air Berlin geschuldet, die kürzeste Route zu fliegen. Da die Flieger spätestens bei 1.500 Meter nach Westen abbiegen, wird immenser Fluglärm über Ost-Berlin getragen werden. Die Prioritäten lauten 1. Sicherheit, 2. maximaler Profit für die Airlines, 3. maximaler Profit für die privatisierte Deutsche Flug(lärm)sicherung, 4. politisches Kalkül (welcher Minister wohnt wo und darf nicht überflogen werden) und frühestens an 5. Stellle dann denkt man vielleicht über die Lärmbelastung der Bürger nach. Aber der Protest geht weiter...